Dortmund/Hagen. . Immer mehr Hilfsbedürftige in Südwestfalen wählen wegen Streitigkeiten um Mietkautionen, Nebenkosten und Hartz-IV-Leistungen den juristischen Weg. Das Sozialgericht Dortmund erlebt einen regelrechten Ansturm an Anträgen von Arbeitsuchenden. Viele Verfahren dauern länger als zwei Jahre.
Hartz IV beschert auch dem für Südwestfalen zuständigen Sozialgericht Dortmund weiterhin einen Ansturm, der kaum zu bewältigen ist. Die Eingänge an Klagen bzw. Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) haben nach Angaben von Behördenleiterin Anita Schönenborn 2013 im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um 5,34 Prozent zugenommen. Unweigerlich verlängern sich Dauer der Verfahren und die Arbeitsbelastungen für Richter.
Es sind Fälle aus dem prallen Leben, aus der Mitte der Gesellschaft, die in Sozialgerichten bearbeitet werden. Streitfragen über die Grundsicherung für Arbeitsuchende oder Leistungen für nicht erwerbstätige Hilfebedürftige zum Beispiel. „Wir merken die Not“, sagt Anita Schönenborn. Ihr Richter-Kollege Ulrich Schorn spricht von einem Phänomen, das „im ländlichen Bereich noch etwas weniger ausgeprägt ist als im städtischen“.
Mehr Fälle in Südwestfalen
Dennoch: Auch in Südwestfalen haben die Fälle zugenommen, in denen Hilfsbedürftige wegen Streitereien um Übernahmen von Mietkautionen, Umzugs-, Renovierungs-, Heiz- und Nebenkosten oder Hartz-IV-Leistungen den juristischen Weg wählen. Erst kürzlich sorgte das Dortmunder Sozialgericht für bundesweite Schlagzeilen, als es per Eilentscheidung einer spanischen Familie aus Iserlohn Arbeitslosengeld II zusprach.
EU-Ausländer, die in Deutschland eine Arbeitsstelle suchen, haben eigentlich keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. In einer Folgeabwägung kam das Dortmunder Gericht zu dem Schluss, dass der Familie des spanischen Bäckers „ohne die Grundsicherungsleistungen existenzielle Nachteile drohten, die sie aus eigener Kraft nicht abwenden könne“.
Warten auf Grundsatzentscheidung
Zudem hatte das Sozialgericht Zweifel, ob der Leistungsausschluss für arbeitsuchende Ausländer mit dem Gemeinschaftsrecht der EU in Einklang zu bringen ist. Nicht nur Dortmund wartet auf eine Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Dem Bundessozialgericht zufolge hat es bereits mehr als 250 Entscheidungen deutscher Gerichte in dieser Frage gegeben - teilweise mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen.
Die Eilentscheidung des Dortmunder Gerichts fiel mitten in die hitzig geführte Debatte um Armutszuwanderung aus EU-Ländern. „In der Diskussion um die spanische Familie wurde teilweise ein falscher Tenor vermittelt“, sagt Gerichtssprecher Schorn. Und Präsidentin Schönenborn ergänzt, dass es eine vorläufige Entscheidung sei, die die Leistungserteilung für eine Übergangszeit regelt: „Es ging darum, abzuwägen, was man für eine Familie tut, die in ein soziales Loch gefallen ist.“
Sozialgerichte versuchen, Personal zu werben
Die meisten Klagen und Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz drehten sich beim Sozialgericht Dortmund auch im vergangenen Jahr wieder um die Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV). Gegenüber 2012 nahm die Zahl der Fälle noch einmal um 10,64 Prozent zu. Keine Chance für die 55 Richter, die Berge an Verfahren aus dem Bestand - die sich über Jahre angehäuft haben - abzuarbeiten.
„Wir haben leider eine große Zahl an Verfahren, die deutlich über zwei Jahre gehen“, so Anita Schönenborn, „bei existenzsichernden Maßnahmen ist das eigentlich nicht zumutbar.“ Die Gerichtspräsidentin bleibt nur - wie ihren Kolleginnen und Kollegen an den sieben anderen Sozialgerichten in NRW -, unablässig um Personalverstärkung zu werben.
Thema Krankenhaus-Finanzierung
Es sind häufig interpretierbare Begriffe im Sozialgesetzbuch, denen die in Sozialgerichten behandelten Fälle zugrunde liegen. „Wir sind so etwas wie ein Reparaturbetrieb der Politik“, sagt Ulrich Schorn. Was in Zukunft mehr und mehr Arbeit bescheren wird, ist der Bereich der „prekären Beschäftigungen“ - in den befristete Arbeitsverhältnisse mit niedrigen Löhnen fallen. Und womöglich Streitereien rund um das Freizügigkeitsgebot in der EU. „Die Anzahl solcher Fälle ist derzeit noch erstaunlich gering“, so Anita Schönenborn.
Zugenommen haben Fälle aus dem Krankenversicherungsbereich - Abrechnungsstreit zwischen Krankenhäusern und Kassen, in denen es z.B. um die Höhe der Pflegesätze und um die Dauer von Klinikaufenthalten geht. Die Gerichtspräsidentin: „Man merkt, dass die Krankenhaus-Finanzierung zunehmend in den Fokus gerät.“ Eben mitten aus der Gesellschaft.