Hagen. . Zwei Wissenschaftler haben Deutschlands Friedhöfe durchforstet und dort untersucht, inwieweit sich der gesellschaftliche Wandel auch in der Grabgestaltung feststellen lässt. Ihre Studie zeigt: Der Trend zum Individuellen macht auch vor Gräbern nicht mehr halt. Religion ist vielerorts auf dem Rückzug.
Rote Kerzen erhellen den ersten Novemberabend: Das Gedenken an die Verstorbenen ruft Hinterbliebene zu Allerheiligen auf den Friedhof. Der aufmerksame Blick über die Gräber zeigt einen zuweilen freien Umgang mit der Gestaltung. Individualität ist das Stichwort.
„Es geht ein Mentalitätenwechsel in der Gesellschaft vor“, sagt Matthias Meitzler, Soziologe an der Universität Frankfurt. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Thorsten Benkel von der Uni Passau hat er über 450 Friedhöfe in Deutschland erforscht, darunter auch im Sieger- und Sauerland. Die These „Wenn das Leben immer individueller wird, dann auch die Rückschau nach dem Tod.“
Beispiele für den Wunsch, der Trauer einen ganz persönlichen Rahmen zu verleihen, lieferte NRW jüngst: Der 2012 neunjährig verstorbene Dortmunder Jens Pascal, dessen BVB-Fußball-Grabstein für eine hitzige Diskussion um christliche Werte gesorgt hatte, hat posthum letztlich doch seinen letzten Willen umsetzen dürfen.
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„In der Tat registrieren wir häufiger Klagen wegen persönlicher Gestaltungswünsche auch in unserem Verbandsbereich“, bestätigt Uwe Brinkmann vom Verband der Friedhofsverwalter in NRW. „Die Lebenswelt ändert sich spürbar, das spiegelt sich natürlich auch auf den Friedhöfen wider“, so Brinkmann. „Auch die Rechtsprechung hat offenbar reagiert und entscheidet zuweilen etwas milder zugunsten persönlicher letzter Wünsche.“
Religiöse Prägung auf Gräbern nimmt ab
Dutzende Beispiele für extravagante, teils exotisch anmutende Grabgestaltungen haben Matthias Meitzler und Thorsten Benkel bei ihren Recherchen zum in diesem Jahr erschienenen Buch „Sinnbilder und Abschiedsgesten.
Soziale Elemente der Bestattungskultur“ sammeln können. Die Bandbreite ist eindrucksvoll. „Es gibt zum Beispiel alle möglichen Darstellungen von Hobbys auf dem Grabstein. Fußbälle, Vereinsembleme, Motorräder, Autos, Panzer, Raumschiffe, Rockgitarren oder Notenschlüssel“, listet Matthias Meitzler auf.
„Auch ungewöhnliche Objekte wie Tankdeckel, Skateboard, Zapfhahn, Fahrrad oder Autonummernschilder finden sich hier inzwischen“, so Benkel. Das Repertoire scheint unbegrenzt. „Je größer die Stadt, umso mehr ist mit Individualität zu rechnen.
Religiöse Prägung nimmt generell ab – in kleinen Orten langsamer als in großen.“ Haustiere, dreidimensional und in Lebensgröße, aber auch Fantasiewesen, Markenlogos, Songtexte und Statussymbole dekorieren die letzten Ruhestätten. Figuren aus der Populärkultur wie Mickey Mouse und Biene Maja reihen sich neben konfessionellen Symbolen ins Gesamtbild ein. Schmunzeln dürfte der Friedhofsbesucher bei persönlichen Dialekt-Sätzen wie ‘Es Lebbe geht weiter!’, ebenfalls entdeckt vom Soziologen-Team Meitzler und Benkel.
Im Sauerland hält sich Grabgestaltung noch an traditionelle Muster
„Geschlechtsunterschiede sind beim Streben nach Besonderheit nicht feststellbar,“ so Matthias Meitzler. „Alle Altersklassen weisen Individualisierungsmerkmale auf,“ ergänzt Thorsten Benkel. Aber: „Der Trend der Individualisierung setzt sich in ländlichen Regionen wie dem Sieger- oder Sauerland erst allmählich durch.
Was ist erlaubt? „Das entscheidet in erster Linie die Friedhofssatzung, sie ist für jede Stadt oder Kommune exakt festgelegt“, erklärt Martin Kümper, Fachleiter Friedhofsunterhaltung beim Wirtschaftsbetrieb Hagen. Er ist zuständig für die Genehmigung von Grabsteinen.
„Wir sind da grundsätzlich flexibler geworden, wenn es auch bei Sicherheitsstandards in puncto Material und Statik sehr klare Anforderungen gibt“, so Kümper: „Auf kommunalen Friedhöfen sieht es natürlich hinsichtlich der Freiheiten noch anders aus als bei konfessionell getragenen“.