Hagen. Wir bestellen massenhaft Kleidung online. Was nicht gefällt, geht wieder zurück. Umsonst und in großen Mengen. DHL-Zusteller Peter Mrozek erklärt, wie Zalando und Co. seine Arbeitswelt verändert haben. Auf Tour im heißesten Zustell-Bezirk der Stadt.
Der Schrei vor Glück ist eigentlich nur ein gedämpftes „Guten Morgen, Peter.“ Das komplette Gegenteil von der Szene mit der hübschen Schuh-Bestellerin, die sich vor Ekstase fast die Haare vom Kopf reißt, weil der Zalando-Mann ihr quasi neue Drogen bringt. Die Welt von Peter Mrozek hat sich stark verändert, seitdem sich jeder Hagener Schuhe, Hosen und Oberteile an die Wohnungstür liefern lassen kann, bis der Arzt kommt. Denn Peter Mrozek ist Paketzusteller. Im vielleicht heißesten Zustellbezirk der Stadt.
Hagen hatte mal 40 Zustellbezirke. Heute sind es 60. In eine Hagener Straße wurden durchschnittlich mal 20 Pakete geliefert. Am Tag. Heute sind es 70. Früher bekam man auch nicht jede Retoure geschenkt. Heute schon. Der Shopping-Wahn im Internet hat die Paket-Zustellerei in andere Dimensionen getrieben.
Peter Mrozek ist kein Mensch, der dauernd „früher“ sagt. Erlauben könnte er es sich aber. Seit 20 Jahren stellt er Pakete zu. Bote, DHL-Mann, Zusteller, die Post. Was Mrozek macht, hat viele Namen.
Park-Probleme in der Innenstadt
Die City ist sein Bezirk. Leider auch sowas wie sein Sperrbezirk. Denn über Mrozeks Job schwebt quasi das größte Paradoxon der Stadt. An dem Morgen, als wir ihn begleiten, liegen schlappe 200 Pakete in seinem gelben Transporter. Pakete für die Menschen und die Händler in der City. Nur, wie bringt man denen ihre Pakete, wenn man in der City eigentlich gar nicht parken darf? Dazu später mehr.
Dass man die Auswirkungen des Shopping-Wahns in der City nicht so stark spürt, weil hier der Einzelhandel ansässig ist und die Zalando-, Amazon-, Esprit- und H&M-Jünger in den anderen Stadtbezirken leben, ist ein Irrglaube. In der City bestellen sich manche Leute ihre Klamotten sogar zur Arbeit. „Viele haben ja sonst gar nicht mehr die Zeit, Pakete entgegenzunehmen“, sagt der Zusteller.
„Ich habe einem 100-Jährigen Klamotten gebracht“
Und wer bestellt da so? Nur junge Leute? Die Mittelalten? Nur Frauen? Nur Männer? Peter Mrozek muss lachen. „Ich habe sogar einem 100-jährigen Mann Klamotten gebracht.“ Die Bestellomanie kennt keine Altersgrenzen.
Kleines Zwischenfazit: Zalando und Co. haben aus einst zwei Millionen Paketen bundesweit täglich knapp über drei Millionen gemacht. Tendenz: steigend. Was national nach gar nicht so viel klingt, wirkt sich im Laderaum eines DHL-Transporters ungefähr so aus, als wenn man drei Waschmaschinen in einem alten Corsa transportieren möchte. „Aber das ist kein Problem“, sagt Peter Mrozek, „das macht meinen Job doch eigentlich sicher. Irgendjemand muss die Pakete schließlich zu den Menschen bringen.“
Es gibt keinen Plan
Zurück in seinen Bezirk. Mrozek rollt durch die Elberfelder Straße. Sein Plan ist, dass es keinen Plan gibt. Er kann nicht wie in einer Wohnstraße die Hausnummern abarbeiten. Er muss schauen, bei wem morgens um 7.30 Uhr schon Licht brennt. Und er muss darauf achten, dass ihn keine Politesse erwischt.
Denn: Nur bis 9.30 Uhr darf für jeweils wenige Minuten in der Fußgängerzone geparkt werden. Wen Mrozek danach noch nicht beliefert hat, den darf er später etwa von der Hochstraße aus versorgen. Schon mal zwölf Pakete à 30 Kilo von der Hochstraße in die Elberfelder Straße geschleppt? Das ist nicht vergnügungssteuerpflichtig.
Allmorgendliche Tour wirkt wie eine Irrfahrt
Und so sieht seine allmorgendliche Tour durch die City aus der Vogelperspektive aus wie eine Irrfahrt. Halten, gucken, rausspringen, schleppen, noch zwei Runden drehen, bis irgendwo wieder das nächste Licht angeht. Hier in die erste Etage, dort in die fünfte.
Und der Schrei vor Glück? „Schreien tut hier keiner“, sagt Mrozek. Ein Glücklichmacher ist er trotzdem. Wenn er dem Arzt kurz vor Weihnachten das Geschenk für die Gattin bringt. Wenn er das heiß ersehnte Schuhpaket ausliefert. Wenn er die Fracht beim Nachbarn abgibt und abwesenden Adressaten Umstände erspart. „Die Menschen geben mir das Gefühl, dass es gut ist, wenn ich komme.“ Das ist Mrozeks Schrei vor Glück. Jeden Tag.