Hagen-Vorhalle. Er dachte an einen schlechten Scherz: Im Straßengraben an der Stadtgrenze zu Herdecke fand Gebäudereiniger Michael Bald eine gelbe Kiste mit rund 300 Briefen. Es war die komplette Tagespost eines Bezirkes in Hagen-Vorhalle. Ein Dieb hatte den Ablagekasten gestohlen. Wiederhaben wollte die Briefe bei der Post allerdings niemand.

Michael Bald vermutete schon fast so etwas wie „Verstehen Sie Spaß?“. Der selbstständige Gebäudereiniger musste aber schnell feststellen, dass die Mitarbeiter hinter dem Schalter es scheinbar bitterernst meinten.

Rund 300 gestohlene Briefe aus einem Post-Ablagekasten in Vorhalle hatte Bald im Straßengraben an der Brünninghausstraße, kurz vor der Stadtgrenze zu Herdecke, gefunden. Wiederhaben wollte die Briefe bei der Post allerdings niemand.

„Ich habe wirklich gedacht, das sei ein schlechter Witz“, sagt Michael Bald. Dienstlich war der Gebäudereiniger von Herdecke nach Vorhalle unterwegs, als er am Straßenrand, unmittelbar vor dem Krupp-Firmengelände an der Brünninghausstraße, einen gelben, umgekippten Behälter bemerkte. Was dort im Graben lag, war die komplette Tagespost, die der Bezirk Nöhstraße/Freiherr-vom-Stein-Straße – also gut ein Drittel der Vorhaller Post – am Samstag, 13. April, eigentlich im Briefkasten hätte finden sollen.

Ablagekasten aufgebrochen

Um 11.15 Uhr fand Bald den Postbehälter, den ein Unbekannter aus dem Ablagekasten an der Reichsbahnstraße gestohlen und an der Brünninghausstraße abgelegt haben muss. Eine Stunde später wurde der Gebäudereiniger im Postbank-Center am Berliner Platz in Hagen vorstellig, um auf das Problem hinzuweisen.

Das Beweisfoto des Finders: Hier lag die gestohlene Ablagekiste mit 300 Briefen der Deutschen Post im Straßengraben. Foto: Privat
Das Beweisfoto des Finders: Hier lag die gestohlene Ablagekiste mit 300 Briefen der Deutschen Post im Straßengraben. Foto: Privat

„Das hat dort aber niemanden interessiert. Stattdessen hat man mir ein Kärtchen mit einer 0800er-Nummer in die Hand gedrückt.“ Bald rief dort an und landete bei einem Call-Center in Magdeburg. Die Reaktion dort: ähnlich uneuphorisch wie am Postbank-Schalter in Hagen. „Wieder kein Interesse“, sagt Bald, „unvorstellbar, oder?“

Finder recherchiert selbst

Genauso unvorstellbar ist es eigentlich, dass sich Bald nicht entmutigen ließ und selbst die Recherche aufnahm. Die gestohlene Post lag unterdessen weiterhin im Straßengraben. Bald: „Ich habe erstmal die Finger davon gelassen. Das war mir zu heikel.“

Im Internet besorgte er sich eine Telefonnummer von DHL (Bald dazu scherzhaft: „Dauert halt länger“), landete aber stets im Speditionsbereich des Unternehmens, wo man ihm eine 0180er-Nummer gab, mit der er bei der sogenannten „Post-Security“ landen würde. Das ist die Kavallerie für verloren gegangene Briefe.

Es wird noch unvorstellbarer: Eine Dame ging ans Telefon, schrieb sich auch die Ortschaften Hagen und Herdecke auf, aber keinen Straßennamen. Und (nein, wieder kein „Verstehen Sie Spaß?) sie legte die Frage nach, ob der Finder die rund 300 Briefe nicht in den nächsten Postbriefkasten einwerfen könnte? Seine letzte Hoffnung, die verlorene Post doch noch zu ihren Adressaten zu bekommen, sah Bald in einem Anruf in unserer Redaktion. „Die Post bei Ihnen vorbeibringen?“, fragt uns Bald, „kein Problem. Ihr seid die Ersten, die die haben wollen.“

Anruf beim Pressesprecher der Deutschen Post

45 Minuten später steht der Gebäudereiniger in der Stadtredaktion. Beim Durchstöbern der Postkiste kommen intimste und privateste Zusendungen ans Tageslicht. Die Identitätskarte eines Mannes aus Brockhausen zum Beispiel. Ein Einschreiben des Amtsgerichtes an eine Vorhallerin. Auch Gehaltsabrechnungen sind dabei!

Gemeinsamer Anruf beim Pressesprecher der Deutschen Post, Alexander Böhm, in Frankfurt. Der zeigt sich empört und informiert die tatsächlich zuständige Post-Security. Da ist es 14.58 Uhr. Nur 42 Minuten später kommt Mitarbeiter Claudius Cziupka, der Retter der 300 Briefe, in unsere Redaktion. „Wir versuchen, den Fall aufzuklären“, verspricht er. Und zwar nicht nur, warum die Post im Straßengraben landete, sondern auch, warum sich keiner der Mitarbeiter in Hagen des Falles annehmen wollte.