Hagen.
Er ist einer der ältesten Tricks von reisenden Gaunern – und doch fallen immer wieder Senioren darauf rein. Der Trick mit dem hochgehaltenen Tuch. Oder, wie in diesem Fall, der hochgehaltenen Gardine.
24. Februar vorigen Jahres. Vor seinem Einfamilien-Reihenhaus an der Kettelerstraße (Helfe) steht ein 78-jähriger Rentner mit Einkaufstüten. Er will gerade die Haustür aufschließen, da spricht ihn plötzlich eine fremde Frau mit langen schwarzen Haaren an. Sie käme von einer Änderungsschneiderei und hätte für die Nachbarn, die leider nicht zu Hause seien, was abzugeben.
Ob er mal einen Zettel mit einer Nachricht für sie, die nicht so gut deutsch kann, schreiben könnte? Der hilfsbereite und arglose Rentner lässt die fremde Frau ins Haus – ein Riesenfehler.
Familienclan bevölkerte den Zuschauerraum
Vor dem Schöffengericht wurde gestern der Fortgang der Geschichte verhandelt. Auf der Anklagebank die justizbekannte Trickdiebin Agnieszka B. (29): langes schwarzes Haar, Fransenpony. Ihr Familienclan bevölkerte den Zuschauerraum. 2001 kam die Angeklagte mit polnischem Pass nach Deutschland, sie lebt jetzt mit zwei Kindern und Lebensgefährten in Solingen. Als Beruf gibt sie Bäckerin an.
Ob sie oder der Freund arbeiten würden, will Richter Michael Brass wissen. „Nix“, tönt es von der Anklagebank, „wir bekommen Sozialamt.“ Mehr will Frau Agnieszka aber nicht sagen und macht vom Schweigerecht Gebrauch.
Deshalb muss der 78-jährige in den Zeugenstand. Er hatte kurz nach dem Besuch die Angeklagte auf Polizeifotos „eindeutig wiedererkannt“. „Die Frau mit dem Zettel“, war sich der Rentner am Montag noch sicher und berichtete, wie es damals in seinem Haus weiterging. Während er auf der Eckbank in der Küche die angebliche Nachricht für die Nachbarn schrieb, tauchte plötzlich eine zweite dunkelhaarige Frau im Türrahmen auf.
Mittäter huschte unbemerkt in die erste Etage
Offensichtlich war die Haustür offen geblieben. Die zweite Frau hielt eine große Gardine hoch: „Nicht fertig, nicht fertig“ stammelte sie und versperrte dem alten Herrn die Sicht. Das war der Trick: Derweil huschte mindestens ein weiterer Mittäter unbemerkt durch den Treppenflur in die erste Etage. Auf die Schnelle wurden im Schlafzimmer alle Schränke durchwühlt, sämtliche Schubladen aufgerissen. Das bemerkte der Rentner erst, als die fremden Frauen längst aus dem Haus waren.
In diesem Fall hatten die Trickdiebe aber ausnahmsweise gar nichts Mitnehmenswertes gefunden. „Meine alte Wäsche“, so der 78-Jährige, „wollten die wohl nicht haben.“
Doch als der alte Herr am Richtertisch die Täterin in der Lichtbildmappe noch einmal identifizieren soll, tippt er gleich zweimal auf das falsche Foto. Weil der Rentner offensichtlich unsicher ist, kann Agnieszka B. nicht sicher überführt werden. Sie wurde deshalb gestern freigesprochen.
Das Landgericht Wuppertal hat die reisende Trickdiebin jedoch kürzlich verurteilt, unter anderem, weil sie einer 90-Jährigen aus Essen zwei goldene Ringe und ein Armband gestohlen hatte. Dafür muss sie ohnehin eine zweieinhalbjährige Gefängnisstrafe antreten.