Hagen.

Halb hinter einem Strauch verborgen sitzt er da und wartet. Wie jeden Tag. - und wie jeden Tag wird er nicht enttäuscht. In einer Schale wird ihm sein Fressen serviert. Heute gibt’s Rollbraten. Der war im Angebot. Sonst nimmt er auch Dicke Rippe. Ein Feinschmecker-Reiher.

Dann kommt er vorsichtig näher, bleibt zunächst in sicherer Distanz stehen. Er ist eine elegante Erscheinung: Feine graue Striche ziehen sich durch sein Gefieder, am Kopf wippen lange schwarze Schopffedern, eine Fleckenreihe schmückt seinen Vorderhals. Er hüpft heran.

Helga Paar hat eine besondere Beziehung zu dem knapp ein Meter großen Vogel, der täglich in ihrem Garten steht und sich füttern lässt. Sie hat ihn aufgepäppelt, als er im Winter vor acht Jahren halb verhungert vor ihrer Tür lag. „Er konnte nicht laufen und nicht fliegen“, erzählt seine Lebensretterin. Sie gab ihm Fisch, den er nicht schlucken konnte. Also, legte sie ihm den Fisch in seinen Schnabel und ,nudelte’ ihn, wie man Gänse nudelt. Zum Dank kam er später des Öfteren vorbei und fraß ihre Fische aus dem kleinen Teich. Um wenigstens die Frösche zu schützen, sammelte sie sie von der Wiese und trug sie zum Wasser. Sonst hätte der Reiher sie vom Weg gepickt.

„Zur Not isst er auch Fleischwurst.“

Jetzt bekommt er was Deftiges. „Zur Not frisst er auch Fleischwurst“, lacht die Hobby-Ornithologin, die Mitglied im Bund für Vogelschutz und Vogelkunde ist. Es scheint wie ein Spiel: Helga Paar stellt einen Topf hin und geht zurück ins Haus. Der Reiher wartet ab. Wenn irgendetwas anders ist als gewohnt, haut er erstmal ab. Aus dem schlanken Tier wird durch die ausgebreiteten schwarzen Schwingen ein beeindruckender Anblick. Die Flügelspannweite beträgt sicher 1,80 Meter.

Einen Namen hat der Graureiher von Helga Paar noch nicht bekommen. Sie ruft ihn „Reiherlein“.
Einen Namen hat der Graureiher von Helga Paar noch nicht bekommen. Sie ruft ihn „Reiherlein“. © Dietmar Wäsche

Nach zehn Minuten erscheint er wieder, stolziert heran. Wie eine Diva. In aller Ruhe verleibt er sich die Fleischstückchen ein. „Ich glaube, er hält auch welche im Hals fest und bringt sie einem Freund mit“, sagt Paar. Als er genug hat, scheint er es sich gemütlich zu machen. Nach und nach plustert er sich auf, zieht den Kopf an den Körper, als wolle er sich so gegen die Kälte schützen. Seinen Zuschauern hinter der Gardine präsentiert er sich im scharf gegen die Sonne gezeichneten Profil. Er sitzt in Positur.

Als die Tür aufgehet, ist es mit der Ruhe vorbei, er reckt aufmerksam den Hals und fliegt los in seine Lieblingsecke. Dorthin, wo er wie jeden Morgen nach einer Nacht im Wald auf Helga Paar wartet.

Einen Namen bekam er trotz dieser jahrelang währenden Freundschaft nie. „Reiherlein“, ruft sie ihn. Der graue Vogel ist nicht der einzige, den sie nährt. Meisen aller Arten fliegen in ihrem Garten herum. „Im vergangenen Jahr hatte ich einen Buntspecht hier. Der hatte sogar zwei Junge.“ Drosseln kommen vor - „aber nur die Männchen“, Buchfinken, Baumläufer, Rotkehlchen. Sie finden am Rande der Stadt ein kleines Paradies bei Helga Paar.