Hagen. .
Es ist ein Wunder: Der kleine Paulo (10) kann wieder laufen. Noch vor ein paar Monaten konnte der Junge nicht mal mehr aus der Hocke aufstehen. Doch es war ein schwieriger Weg: Achtmal wurde der Junge aus Angola in den letzten Monaten operiert.
Er zieht das rechte Bein nach, sicherlich, es war schwerer verbrannt als das linke, ärger verwachsen, aber was heißt es schon, ein Bein nachzuziehen, wenn man nicht mehr gehen konnte. Nicht einmal mehr aufstehen konnte. Sein Leben in der Hocke verbringen musste. Selbst für Dr. Ingo Kuhfuß (42), den sachlichen Mediziner, den zurückhaltenden Wissenschaftler, ist Paulos Heilung kein alltäglicher Therapieerfolg. Achtmal hat er den Jungen aus Angola in Vollnarkose versetzt und operiert, um Ober- und Unterschenkel voneinander zu lösen. Paulo hat alles ertragen, manchmal hat er gejammert, er hat seine Eltern und das Fischerdorf am Atlantik, in dem eines Abends der Gasofen explodierte und ihn beinahe zerriss, seit sieben Monaten nicht mehr gesehen. „Ich finde, er ist sehr tapfer“, sagt Dr. Kuhfuß.
Das Unglück im fernen Angola, es muss sich irgendwann im letzten Sommer ereignet haben, es waren ganz sicher Verbrennungen dritten Grades, sagt der Arzt, und dass der kleine Junge ein unvorstellbares Martyrium erlitten haben muss. Die Hebamme Margit Broeske (52) brachte den Jungen nach Hagen, sie ist Mitarbeiterin des St.-Josefs-Hospitals und engagiert sich in der Hilfsorganisation Friedensdorf International. Die Hagener Klinik hat die Behandlungskosten übernommen.
Paulo konnte seine Beine gar nicht mehr strecken
Kuhfuß, Chefarzt der Abteilung für Plastische und Ästhetische Chirurgie, hat die extremen Fehlstellungen an beiden Knien korrigiert und die Verbrennungswunden, die auch ein dreiviertel Jahr nach dem Unglück noch als klaffende Male auf den Beinen prangten, durch Hauttransplantationen geheilt.
Denn die überforderten angolanischen Ärzte hatten dem Jungen lediglich Verbände auf die offenen, fleischroten, verbrannten Stellen gelegt. Nach einigen Wochen waren die durch die Hitze der Explosion verkürzten Muskeln, Sehnen und Bänder an Ober- und Unterschenkel zusammengewachsen. Paulo konnte seine Beine selbst im Liegen nicht mehr strecken.
Und jetzt, nach den vielen Operationen, den Verbandswechseln, für die er ebenfalls in Narkose versetzt wurde, weil die Schmerzen sonst nicht auszuhalten gewesen wären, hält Paulo einen Fußball in der Hand. Er zieht das rechte Bein nach, er schießt, der Ball fliegt unter den Stuhl. Zwischen den Operationen, wenn er unter der Bettdecke nach seinen verkrümmten Gliedmaßen gelugt hat, dachte er ans Fußballspielen: „Ich habe geträumt, dass meine Beine wieder gerade werden.“
Spätestens im April fliegt Paulo zurück in seine Heimat
Zwischendurch geriet der Behandlungserfolg in Gefahr, denn immer wenn Paulo die Hagener Klinik verließ und im Friedensdorf in Oberhausen die strengen Vorgaben der Physiotherapeuten vernachlässigte, drohten die Verwachsungen die Beine wieder zu verformen. Aber wer hält einen kleinen Jungen im fremden Deutschland, der niemanden hat außer einer Hebamme, die ihm manchmal vorliest und ihn im Rollstuhl spazieren führt, dazu an, dass er fortwährend seine Beine trainieren und Gymnastik machen muss. „Nun ist er über den Berg“, so Kuhfuß. „Paulo weiß jetzt, wie wichtig die Übungen sind.“
Spätestens im April wird er zurückfliegen nach Angola zu seinen Eltern in dem Fischerdorf am Atlantik, dann wird er fast ein Jahr fortgewesen sein, und wie werden die Leute dort auf ihn reagieren, die ja nichts wissen von seiner Leidensgeschichte und seiner wundersamen Heilung. Ob sie ihm glauben, wenn er vom Schnee erzählt, von Currywürstchen und von dem Lederfußball, den er in Händen gehalten hat? Seine Mutter wird ihn erkennen. Und die anderen? Vielleicht darf er den Ball mitbringen. Nachts werden seine Beine noch mit Schienen fixiert. Im Josefs-Hospital darf er Fußball spielen, er hat ja sonst nichts, aber er wird gesund, das ist die Hauptsache. „Wir warten jetzt darauf, dass er eine Scheibe einschießt“, sagt Dr. Kuhfuß.