Hagen.

Er lag auf der Intensivstation, die Intensivstation in einem Krankenhaus in Angola besteht aus einem Vorhang und einem Infusionsständer. Jetzt wird der kleine Paulo mit seinen schweren Verbrennungen in Hagen behandelt.

Am schlimmsten für den kleinen Paulo müssen die Schmerzen beim Wechseln der Verbände gewesen sein, wenn die Mediziner auf den offenen, fleischroten, verbrannten Stellen hantierten. Eine andere Form der Behandlung gab es nicht. Nach einigen Wochen wuchsen die durch die Hitze verkürzten Muskeln, Sehnen und Bänder an Ober- und Unterschenkel zusammen. Paulo konnte die Beine nicht mehr strecken. Er konnte nicht mehr gehen. Er konnte nicht einmal aufstehen. Er würde den Rest seines Leben in der Hocke verbringen.

Der Junge muss ein unvorstellbares Martyrium erlitten haben

Für Dr. Ingo Kuhfuß (42) handelt es sich nicht um einen alltäglichen Fall. Solche Verklebungen gibt es in Deutschland nicht mehr. Dass Ober- und Unterschenkel nach Verbrennungen zusammenwachsen, kann hierzulande nicht passieren. Hierzulande werden Verbrennungsopfer nach dem Unglück fachgerecht behandelt. „Ich finde, er ist sehr tapfer“, sagt Dr. Kuhfuß über den kleinen Paulo. Das Unglück im fernen Angola, es muss sich irgendwann im letzten Sommer ereignet haben, es waren ganz sicher Verbrennungen dritten Grades, sagt der Arzt, und dass der kleine Junge ein unvorstellbares Martyrium erlitten haben muss.

Kuhfuß, Chefarzt der Abteilung für Plastische und Ästhetische Chirurgie am St.-Josefs-Hospital, hat den kleinen Paulo inzwischen sechsmal operiert. Die Hebamme Margit Broeske (52) brachte den Jungen nach Hagen, sie ist Mitarbeiterin des Krankenhauses und engagiert sich in der Hilfsorganisation Friedensdorf International. Die Hagener Klinik hat sich bereiterklärt, die Behandlungskosten zu übernehmen. Kuhfuß hat zunächst die extremen Fehlstellungen an beiden Knien korrigiert und die Verbrennungswunden, die auch ein dreiviertel Jahr nach dem Unglück noch als klaffende Male auf den Beinen prangten, durch Hauttransplantationen geheilt. „Die Behandlung ist bisher gut verlaufen“, sagt der Chefarzt. Nach jeder Operation guckte Paulo vorsichtig unter der Bettdecke an sich hinunter, er konnte seine Beine jedes Mal ein kleines bisschen mehr strecken. „Ich habe geträumt, meine Beine werden wieder gerade“, sagt er.

Von seinen Eltern hat er seit Monaten nichts mehr gehört

Er ist ganz allein in dem fremden Deutschland, die meiste Zeit verbringt er in seinem Krankenzimmer, er hat nur Margit Broeske, die ihm vorliest und ihn im Rollstuhl spazieren führt, von seinen Eltern in dem Fischerdorf irgendwo am Atlantik hat er seit Monaten nichts gehört. Dirk Heiligers, der Physiotherapeut, hat ihm ein Gehwägelchen gebastelt, mit dessen Hilfe er einige Sekunden lang stehen und winzig kleine Schritte unternehmen kann. Sein Muskelapparat ist ja nahezu vollkommen erschlafft, Paulo wird in der Reha hart an sich arbeiten müssen, um wieder laufen zu lernen. „Er wird es schaffen“, nickt Dr. Kuhfuß zuversichtlich. „Er wird Narben behalten, aber das Gehen und Laufen wird er schaffen. Er ist tapfer und fleißig.“

Wenn die Ärzte die Verbände wechseln, wird Paulo in Narkose versetzt. Die Schmerzen wären sonst nicht auszuhalten. Wie er sie in Angola ausgehalten hat, hinter dem Vorhang mit dem Infusionsständer, mag sich niemand ausmalen. Immer wieder lugt er unter der Decke nach seinen Beinen. Ob sie wieder ein Stückchen gerader geworden sind? Ob er doch wieder einmal wird Fußball spielen können?

Er hat davon geträumt.