Hagen. .

Mit 15 flog Raschid von der Schule. Denn er war süchtig. Süchtig nach seinem Computer. Statt sich für die Schule zu engagieren, saß er lieber vor dem Computer und spielte. Von morgens bis abends und auch die halbe Nacht. Doch dann kam die Wende.

Sein Abstieg als Schulversager war schon so gut wie vorgezeichnet. Er nahm zwar keine Drogen, er trank nicht, er war nicht kriminell - und doch war er ein Junkie: Raschid Khayata (19) saß von morgens bis abends und die halbe Nacht am Computer. „Ich war süchtig nach diesem Spiel, nach World of Warcraft“, berichtet er. „Es hat mir das Leben kaputt gemacht. Beinahe.“

Mit 15 flog Raschid von der Schule. Zweimal hatte er die neunte Klasse der Realschule Haspe durchlaufen, zweimal war er mit lauter Fünfen und Sechsen auf dem Zeugnis sitzen geblieben. Er habe in der Schule keine Anerkennung gefunden, sagt er, das hat er so für sich analysiert, und als er auch noch anfing, schwarze Sachen zu tragen und sich für Gothic Music, einen Stil der Rockmusik, zu interessieren, sei er von den Lehrern vor versammelter Klasse bloßgestellt worden.

„Das Spiel gab mir das Gefühl, etwas zu leisten“

Er lieferte Klassenarbeiten mit unbeschriebenen Blättern ab, häufig schwänzte er den Unterricht, er musste ja Computer spielen. Er tauchte ein in das Paralleluniversum von World of Warcraft, in die Welt der Kriegskunst, er war ein Druide und wurde von seinen Mitspielern gelobt, weil er zu den Besten gehörte. „Das Spiel gab mir das Gefühl, etwas zu leisten, auf das ich stolz sein durfte“, erinnert er sich. „Es gab mir etwas, dass ich in meinem richtigen Leben nicht hatte.“

Seine Mutter verzweifelte an ihrem Sohn, der sklavisch vor dem Bildschirm saß, und als sie ihm den Strom für den Computer sperrte, tickte er aus und fuhr sie an, und als sie ihn fragte, was er denn machen wolle aus seinem Leben, antwortete er: „Ich will gar nichts machen, Mutter. Ich will nur Computer spielen.“

Die Wende war beinahe banal

Die Wende ist nicht mit einem besonderen Ereignis verbunden. Aber irgendwann in jenem Sommer vor vier Jahren, als er nach dem Aufstehen gleich den Computer anschaltete und sich in einen Druiden verwandelte, eine willfährige Ersatzpersönlichkeit annahm, muss ihn eine Art Erweckungserlebnis getroffen haben. Es mag schwülstig und allzu banal klingen, aber für einen manisch-besessenen Computerfreak wie Raschid Khayata war es tiefgreifend zu erkennen, wie hohl und nichtig, wie zerstörerisch seine Obsession war: „Ich erkannte, dass ich unbedingt Bildung brauche, um etwas im Leben zu erreichen. Dass ich meine eigentliche Persönlichkeit entfalten muss. Dass ich an mich selbst glauben kann und muss.“

Von einem Tag auf den anderen schaltete Raschid den Computer nicht mehr ein. Aber er hatte nichts außer den neuen, guten Vorsätzen. Schließlich landete er auf dem Cuno-Berufskolleg II, und sein richtiges Leben begann.

Jetzt soll ein Lehramtsstudium folgen

Er war jetzt kein Druide mehr, er stellte im Unterricht Schachbretter und Kerzenständer her. Er absolvierte das Berufsorientierungsjahr und anschließend das Berufsgrundschuljahr, mittlerweile besitzt er die Fachoberschulreife und besucht die höhere Berufsfachschule, und im Sommer will er ans technische Gymnasium wechseln.

Dann soll noch ein Lehramtsstudium folgen - ja wirklich, Raschid Khayata, der einstige Schulversager, will Lehrer werden. „So eine Karriere wie die von Raschid habe ich noch nicht erlebt“, sagt Schulleiter Hans-Joachim Müller (60), der keine Zweifel daran hegt, dass sein Schüler die hochgesteckten Ziele erreichen wird. „Er hat das Zeug dazu.“

Auf Raschids Zeugnis stehen fast nur noch Einsen und Zweien, er hat jetzt eine Freundin, er liest (und liebt) Goethe und Shakespeare. Seine Mutter ist sehr glücklich. „Ich habe mich selbst gefunden“, sagt er.