Hagen.

Die Gegend um den Hauptbahnhof gilt nicht gerade als Vorzeigeadresse. Doch das war nicht immer so. Einst prägten herrschaftliche Häuser, schnieke Ho­tels, Ge­schäf­te und das Kaiserliche Postamt das Viertel. Dominiert aber wurde das Terrain – und darin gleichen sich Vergangenheit und Gegenwart – vom Empfangsgebäude des Bahnhofs mit seinem weithin sichtbaren Uhrturm. Vor 100 Jahren wurde der Komplex errichtet

Es war das dritte Empfangsgebäude an dieser Stelle. Die beiden Vorgängerbauten, errichtet 1849 bzw. 1875, waren den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig steigenden Verkehrsbedürfnissen schnell nicht mehr gerecht geworden. Parallel zum Ausbau der Gleisanlagen wurde deshalb ein größeres Empfangsgebäude konzipiert, das am 14. September 1910 eingeweiht wurde und seitdem, wie es der Hagener Eisenbahnexperte und Architekt Michael Häßler formuliert, das „Bindeglied zwischen der steinernen Bebauung der Stadt und den stählernen Strukturen“ von Bahnsteighalle, Gleisen und Zügen darstellt.

Die Fassade überstand die Bombardierungen im zweiten Weltkrieg

Hauptbahnhof, Empfangsgebäude, Wartesaal 1. und 2. Klasse Foto: Stadtarchiv Hagen
Hauptbahnhof, Empfangsgebäude, Wartesaal 1. und 2. Klasse Foto: Stadtarchiv Hagen © WP

Die im seinerzeit populären neobarocken Stil errichtete Fassade hat zwar sogar die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs überstanden und sieht noch so aus wie vor 100 Jahren, dafür hat sich die Innenausstattung des Bahnhofs den modernen Zeiten angepasst. Einst gab es 15 Fahrkartenschalter, eine Gepäckabfertigung und zwei Wartesäle - einen für die 1. und 2., einen für die 3. und 4. Klasse. Nicht nur dem Geldbeutel nach waren die Reisenden getrennt, es gab auch separierte Aufenthaltsräume für Frauen sowie, man lese und staune, Nichtraucherzimmer.

Der repräsentative Uhrturm wurde errichtet, weil ein Bahnhof immer auch ein Sinnbild der Zeit ist. Diese Verbindung sollte auch ein Reigen auf- und absteigender Putten veranschaulichen, die das Nahen und Schwinden der Stunden bzw. Abschied und Ankunft andeuten.

Auf eine Besonderheit, die den Hagener von anderen Großstadtbahnhöfen unterscheidet, weist Stadtarchivar Andreas Korthals hin: „Der Bahnhof wurde nicht, wie in Dortmund oder Köln, im Zentrum der Stadt, sondern an deren Rand errichtet.“ Dies geschah wahrscheinlich aus Platzgründen.

Die Eisenbahn veränderte das Leben in Hagen radikal

Auf jeden Fall veränderte die Eisenbahn das Leben in Hagen radikal, sie war die Triebfeder für die Entwicklung zur bedeutenden Industriestadt mit Hüttenwerken und Metallfabriken. Im Dezember 1848 fuhr der erste Güterzug durch das damals gerade 5200 Einwohner zählende Hagen, drei Monate später war die Stadt auch für den Personenverkehr erreichbar. So stand der Hütten- und Metallindustrie nun ein schnelles, zuverlässiges und kostengünstiges Transportmittel zur Verfügung.

Hauptbahnhof, Empfangsgebäude, Wartesaal 3. und 4. Klasse Foto: Stadtarchiv Hagen
Hauptbahnhof, Empfangsgebäude, Wartesaal 3. und 4. Klasse Foto: Stadtarchiv Hagen © WP

Als das neue Empfangsgebäude 1910 eröffnete, liefen elf Bahnstrecken in Hagen zusammen. Der neue Hauptbahnhof umfasste fünf Bahnsteige mit 16 Gleisen. Auch die zweischiffige Bahnsteighalle, eine der wenigen erhaltenen Hallenkonstruktionen in Stahlbauweise in Deutschland, die in den 1990er Jahren restauriert wurde, feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag.

Aufgrund von Weichen und Überholgleisen an den beiden Hauptbahnsteigen können vier Züge gleichzeitig an einem Bahnsteig abgefertigt werden, was mitunter lange Fußwege für die Reisenden mit sich bringt.

Mit 30.000 Reisenden pro Tag ein wichtiger Knotenpunkt in Deutschland

Die Restaurierung der Bahnhofshalle im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ging mit der Säuberung des Glasfensters von Jan Thorn-Prikker (1868 bis 1932) einher, der auf Anregung des Hagener Kunstmäzens Karl Ernst Osthaus eine „Huldigung der Gewerbe vor dem Künstler“ entworfen hatte, die jetzt wieder gut sichtbar im Hauptfenster über dem Eingang sitzt.

Bis heute gilt der Hauptbahnhof mit geschätzten 30 000 Reisenden am Tag als einer der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte in Deutschland. Sechs Intercity-Linien verkehren hier, außerdem acht Regionalverbindungen sowie kleinere Züge. Auch wenn seine Umgebung nicht mehr gutbürgerlich bestimmt ist - ein stadtbildprägendes Hagener Einfallstor ist der Hauptbahnhof nach wie vor.