Hagen. Nach einem endlosen Redemarathon hat der Hagener Rat den Doppelhaushalt 2024/25 auf den Weg gebracht. Hier die Argumente:

Wenn im Hagener Rat die Vorsitzenden der Fraktionen anlässlich der Haushaltsverabschiedung ihre Reden zur Lage der Stadt verlesen, dann weht schon ein Hauch von Bundestag durch den Ratssaal an der Volme: Gemessenen Schrittes schreiten die Matadore – und eine Torera – nach vorne, breiten ihre sorgfältig vorbereiteten Manuskripte am Rednerpult aus, passen das Mikrofon ihrer Körpergröße an, holen noch mal tief Luft, um dann jeweils zehn Minuten lang vorzugsweise über das finanzielle Desaster der Stadt abzuledern. Je nach politischer Couleur mal mit mehr und mal mit weniger Lob für die Stadtspitze rund um Oberbürgermeister Erik O. Schulz und Finanzdezernent Christoph Gerbersmann. Nach dem dritten Redner wird’s zäh, nach einer Stunde muss man sich zum Zuhören zwingen und spätestens zum Ende des Rituals fällt es schwer angesichts des Gesagten, nicht sofort fluchtartig die Stadt zu verlassen. Dieses Ritual deprimiert, frustriert und desillusioniert. Denn es macht immer wieder deutlich, dass in Hagen in absehbarer Zukunft sich niemand der Illusion hingeben sollte, dass sich am zunehmend herausfordernden Zustand dieser Stadt irgendetwas ändern könnte. Denn bei der Diagnose des Ist-Zustandes sind sich alle politischen Farben einig: Es fehlen die Mittel zum Investieren, für besseren Bürgerservice und zum Gestalten.

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Vor diesem Hintergrund hat entgegen dem Entwurf des Kämmerers die klare Mehrheit des Rates aus CDU, SPD, Grünen, FDP und Hagen Aktiv jetzt einen Doppelhaushalt auf den Weg gebracht, der auf weitere Steuererhöhungen verzichtet. Für diesen Weg hatte sich vorzugsweise die SPD starkgemacht, weil eine Erhöhung der Einnahmen dennoch bloß wieder dazu führen werde, dass dieses Geld in dem großen Schuldenloch verschwindet, ohne dass sich für die Bürger an der aktuellen Lage Spürbares verbessert. „Es reicht vorne und hinten nicht“, beklagte SPD-Fraktionschef Claus Rudel die schwindende Lebensqualität in Hagen. „Und in dieser Situation kommen der Oberbürgermeister und sein Kämmerer daher und wollen den Bürgerinnen und Bürgern mit Steuer- und Gebührenerhöhungen in die Tasche greifen“, erinnerte er an steigende Arbeitslosenzahlen und zunehmende Kinder- und Altersarmut. „So viel wir in diesem Ratssaal auch streiten um Beträge und Zahlen – wir werden es nicht allein schaffen“, rief er ebenso wie die Vertreter aller anderen Fraktionen und Gruppen nach der externen Unterstützung bei der Lösung der Altschuldenproblematik. „Deshalb dürfen wir das Millionenloch in unserem Haushalt nicht mit dem schwer verdienten Geld unserer Bürger zum Schein stopfen, sondern müssen die seit Jahren fehlgeleitete Gemeindefinanzierung sowohl der Kommunalaufsicht in Arnsberg als auch dem Ministerpräsidenten in Düsseldorf ungeschönt vor Augen führen.“

So viel wir in diesem Ratssaal auch streiten um Beträge und Zahlen – wir werden es nicht allein schaffen.
Claus Rudel - SPD-Fraktionschef

CDU wittert Intrigenspiele

Eine Haltung, die nicht bloß den Groll des Finanzdezernats, sondern vor allem auch der Union nach sich zog. CDU-Fraktionschef Jörg Klepper gab sich erbost, witterte Intrigenspiele und hatte offenkundig noch nicht verdaut, dass seine selbsternannte Allianz der Vernunft in der Steuererhöhungsfrage zuletzt eine bittere Abstimmungsniederlage zu verdauen hatte. Er sprach von einem „dramatischen Wendepunkt in unserer Stadtgeschichte“, einer „finanziellen Nahtoderfahrung“, „einem Trümmerfeld der Besitzstandswahrung“ und prophezeite eine „bilanzielle Katastrophe“. „Den guten Entwurf von Christoph Gerbersmann hat die Zufallsmehrheit in den vergangenen drei Wochen lustvoll zertrümmert“, hatte Klepper offenkundig vergessen, dass seine Union nach einer ersten Klausurtagung sich zunächst ebenfalls gegen den Kurs ihres Kämmerers positioniert hatte. Stattdessen plädierte seine Fraktion für eine „Steuererhöhung light“, die aber genauso wenig eine Mehrheit fand. Dennoch stimmte die Union „aus Pflichtgefühl“, für den Etat, „weil dieser schlechte Haushalt noch immer ein Stück besser ist als gar keiner“.

Den guten Entwurf von Christoph Gerbersmann hat die Zufallsmehrheit in den vergangenen drei Wochen lustvoll zertrümmert.
Jörg Klepper - CDU-Fraktionschef

„Die Umstände sind eine Zumutung, für die niemand in Hagen etwas kann“, diagnostizierte derweil Grünen Fraktionssprecher Jörg Fritzsche die Situation und sah schon weitere Zeiten der Selbstamputation am Horizont aufziehen. Mit der Faust in der Tasche stimmte seine Partei zu, um einen Verlust der Handlungsfähigkeit abzuwenden: „Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist nicht mehr gewährleistet, deshalb bleiben in Hagen auch zunehmend die Fachkräfte weg.“ Auch er sprach sich wie Klepper für eine moderate Steuererhöhung aus, blieb aber ebenso ungehört: „Es hilft uns nicht, die Probleme in die Zukunft zu verschieben – sie kommen doppelt so heftig wieder zurück.“

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AfD-Chef Michael Eiche identifizierte rhetorisch bestens präpariert derweil die überbordenden freiwilligen Leistungen als Grundübel in knappen Zeiten. Hier fehle es an jeglicher Transparenz, sodass am Ende lediglich ein Flickenteppich an Einsparungen bleibe. Er kritisierte die praktizierte Brandmauer zwischen seiner Fraktion und den übrigen Parteien als „einen Kampf gegen die Bürger“ und sparte erwartungsgemäß nicht an der obligatorischen Medienschelte. Seine Diagnose zur finanziellen Schieflage: Die Ursache sei die massenhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme.

Die Allianz hat fertig!
Laura Knüppel - BfHo/Die Partei

Einen ganz anderen Befund lieferte derweil eine übernervöse Laura Knüppel als Sprecherin der Fraktion BfHo/Die Partei: „Die Allianz hat fertig!“, kam sie zu dem Schluss, dass sich Hagen in einem so schlechten Zustand befinde, seit die Allianz seit 2014 die Mehrheit bilde. Die Bürger hätten eher Schmerzensgeld als eine Steuererhöhung verdient, empfahl sie eine goldene Tapferkeitsmedaille für alle jene, die der Stadt die Treue halten.

Eine Stadt ohne Visionen

In eine ähnliche Richtung argumentierte Ömer Oral (Hagener Aktivistenkreis), der wiederum feststellte, dass lediglich Familie und Freunde die Menschen noch in Hagen halten würden. Dem Haushalt fehle es nicht bloß an Kreativität, sondern der Stadt auch an innovativer Weitsicht und Führung: „Altschulden dürfen keine Barrikade für Entwicklung sein“, mahnte er an, dass Hagen ja selbst bei plötzlicher Schuldenfreiheit keine Visionen für die Zukunft hätte. „Hagen entwickelt sich zunehmend zu einem Paradies für Arbeitslose und zu einer Hölle für Fleißige und Engagierte.“ Der Haushalt bewege sich auf einem Irrweg, direkt in die Sackgasse. „Es gibt nur noch wenige Punkte, die gut Ausgebildete, Familiengründer und Jugendliche in der Stadt halten.“

Hagen entwickelt sich zunehmend zu einem Paradies für Arbeitslose und zu einer Hölle für Fleißige und Engagierte.
Ömer Oral - Hagener Aktivistenkreis

Den Konsolidierungskurs der Vorjahre verteidigte derweil FDP-Ratsgruppensprecher Claus Thielmann: „Wir kommen nicht weiter, wenn wir ein Haushaltssicherungskonzept maximal rasieren, ohne entsprechende Vorschläge zu machen, wie diese Verschlechterungen anderweitig aufgefangen werden.“ Damit widersprach er Linken-Sprecher Ralf Sondermeyer, der nicht bloß einen weiten Bogen von den Kriegsschauplätzen in Gaza und der Ukraine bis zum Weltwirtschaftsforum in Davos spannte, sondern vor allem die finanziellen Sorgen vieler Menschen und Gewerbetreibenden in den Mittelpunkt seiner Begründung zur Haushaltsablehnung stellte.

Jetzt unreflektiert einfach weiter zu sparen hieße gleichzeitig, wohl kaputtzusparen.
Josef Bücker - Hagen Aktiv

Ähnlich die Argumentation von Hagen-Aktiv-Ratsherr Josef Bücker, der mit seiner Fraktion beim Thema Steuererhöhungen aus der Linie der Allianz ausgeschert war: „Jetzt unreflektiert einfach weiter zu sparen hieße gleichzeitig, wohl kaputtzusparen“, bei den Bürgern sei nichts mehr zu holen. „Die vielen Sparmaßnahmen des letzten Jahrzehnts sind an unserer Stadt ganz offensichtlich nicht spurlos vorübergegangen.“

Ein Redner-Marathon, der am Ende eines deutlich machte: Eine intelligente Strategie, Hagen nach vorne zu bringen, ohne die strapazierte Hagener Bürgerschaft weiter finanziell zu melken, präsentierte keine Partei. Wenn die flehenden Rufe nach externer Unterstützung weiterhin ungehört bleiben, wird es sich kaum abwenden lassen, dass die Schuldenlast wieder über die Milliarden-Marke anschwillt und die Infrastruktur weiter auf Verschleiß gefahren wird. Die Folge: Die Bürger stimmen weiter leise mit den Füßen über die Hagener Zukunft ab, indem sie sich geräuschlos abwenden. Als einziger Hoffnungsschimmer bleibt letztlich das Signal aus Reihen aller demokratischer Parteien, sich beim nächsten Haushalt frühzeitiger auf eine gemeinsame Strategie in Zeiten des Finanzdilemmas verständigen zu wollen.