Hagen. Die Handwerksbetriebe in Hagen tun sich schwer, sich für die Aufträge und Projekte bei der Stadt zu interessieren. Und das hat gute Gründe.
Private Bauleute müssten zurzeit bei ähnlichen Kostenexplosionen sicherlich oft resignierend die Hand heben oder gar Insolvenz anmelden. Doch Kommunen sind trotz der schwierigen Lage zumindest zur Bewahrung der Daseinsvorsorge verpflichtet, weiter zu investieren und somit fast jede Preiskröte zu schlucken. Dabei wird es für die Stadt obendrein immer schwieriger, passende Handwerksbetriebe zu finden. Ein Blick auf die aktuell verzwickte Situation:
Wunschzettel an die Stadt Hagen
Der Kreishandwerksmeister Bernd Marquardt appelliert ebenso wie der Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Sebastian Baranowski an die Stadtverwaltung, deutlich genauer beim Tariftreuegebot hinzuschauen. Dieses besagt, dass öffentliche Aufträge nur an Betriebe vergeben werden, die sich verbindlich an das geltende Lohngefüge halten. Diese Maßgabe, so die beiden Verbandsvertreter, werde immer häufiger durch nachgelagert beauftragte Subunternehmen unterwandert und ausgehöhlt – eine Kontrolle seitens der Kommune finde aufgrund von Personalknappheit faktisch nicht statt.
Zudem der Appell: Auch beim Thema „Kommunale Wärmeplanung“ würde die heimische Handwerkerschaft sich gerne in die konzeptionellen Überlegungen der Stadt Hagen einbringen. Hier sucht das Rathaus bislang bevorzugt den Schulterschluss mit der Enervie AG. „Die Enervie kann hier aufgrund ihrer Fachlichkeit auch gerne die Federführung behalten“, meint Baranowski, „doch die Betriebe des Sanitär- und Elektrohandwerks werden hier letztlich die Hauptarbeit leisten müssen – warum lässt man uns also nicht von Beginn an mit an den Tisch und mitarbeiten?“ Diese Schlüsselfrage hat die Kreishandwerkerschaft bereits vor Wochen schriftlich in Richtung Stadtverwaltung gerichtet – eine Antwort lasse bislang auf sich warten.

Bei öffentlichen Bauprojekten schnellen momentan die Preise scheinbar unaufhaltsam durch die Decke. Steigerungen von 100 Prozent – das Ganzjahresbad in Henkhausen sei hier bloß beispielhaft genannt – sind angesichts der Corona-Folgen, anhaltender Lieferkettenprobleme, Fachkräftemangels, satter Tarifabschlüsse und natürlich des Inflationsniveaus längst keine Seltenheit mehr. Hinzu kommt, so hat jetzt eine Umfrage des WDR in sämtlichen NRW-Kommunen ergeben: Die Städte und Gemeinden finden kaum noch Handwerksbetriebe, die sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen. „Der Fachbereich Gebäudewirtschaft hat Schwierigkeiten, ausreichend externe Handwerksfirmen zu bekommen“, bestätigt auch Hagen-Sprecherin Clara Treude. Dafür gibt es in den Augen von Sebastian Baranowski, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Dortmund/Hagen/Lünen, zwei wesentliche Gründe: „Zu hoher administrativer Aufwand für die Betriebe und eine viel zu späte Rechnungsbegleichung seitens der Stadt.“
Zu viele Unwägbarkeiten
Durch den spürbaren Handwerkermangel, das zeigt die aktuelle Realität, werden die öffentlichen Aufträge häufig erst mit großer Verzögerung vergeben, mangels Konkurrenz fallen die Angebote teurer aus und die Abarbeitung erfolgt deutlich zäher. Höchstens für kleiner Aufträge, die abseits aufwändiger Ausschreibungen freihändig vergeben werden, finden sich noch lokale Interessenten. Angesichts der Materialengpässe können Handwerker häufig keine Zusagen für fixe Zeitpläne machen, beobachtet die Stadt. Hinzu kämen unkalkulierbare Preisentwicklungen, fehlendes Fachpersonal, was wiederum häufig die Qualität mindere.

„Bei öffentlichen Ausschreibungen für größere Projekte gibt es inzwischen einen administrativen Aufwand ohne Ende – ein Bürokratiewust, der den Betrieben ihre Leistungsfähigkeit nimmt“, weiß Baranowski, dass ein klassischer mittelständischer Betrieb mit fünf bis acht Beschäftigten das gar nicht mehr leisten könne. „Wenn sich beispielsweise ein Dachdecker für die Reparatur eines Turnhallendaches bewerben möchte, dafür jedoch einen kompletten Tag am Schreibtisch sitzen muss anstatt auf der Baustelle mitzuhelfen, obendrein keine Gewissheit hat, überhaupt den Zuschlag zu erhalten, dann kann ich verstehen, dass er es gar nicht erst versucht.“ Eine Einschätzung, die sich mit den Beobachtungen der Stadt Hagen deckt: „Da momentan der Markt den Handwerkern ausreichend Möglichkeiten lässt, scheuen viele Firmen den Aufwand, der mit öffentlichen Ausschreibungen verbunden ist“, weiß auch Treude. Allerdings würden sich viele Handwerker für kleinteiligere Fach- und Teillosevergaben interessieren, die eine Stadt gezielt an lokale Anbieter vergeben könne, regt Baranowski angesichts der Gespräche in vielen Gremiensitzungen ein Umdenken bei der Kommune an.
Rechnungen werden spät beglichen
„Der Bürokratismus überfordert viele Betriebe“, bestätigt auch der Hagener Kreishandwerksmeister Bernd Marquardt. Hinzu komme, dass eine Stadt wie Hagen den Zeitpunkt für die Begleichung der auflaufenden Rechnungsbeträge gerne in die fernere Zukunft verschiebe. „Privatleute zahlen hier viel kurzfristiger“, sichern beispielsweise Akontozahlungen an den Handwerker aufgrund des Baufortschritts hier viel prompter die Gehaltszahlungen der Mitarbeiter oder die Begleichung von Materialkosten. Die Stadt verweise derweil selbst nach Abschluss von Aufträgen auf organisatorische Gründe wie Plausibilitäts- und Architektenprüfungen, bevor letztlich tatsächlich Geld fließe. Marquardt möchte hier noch einmal den direkten Kontakt zur Stadtspitze suchen: „Dabei sollte es auch um eine schlankere Gestaltung der Ausschreibungsverfahren gehen – andere Städte handhaben das auch anders“, weiß Marquardt, „offenbar gibt es hier Spielräume, ohne dass man sich gleich juristisch angreifbar macht“.
Für die Stadt ist die Zurückhaltung in der Handwerkerschaft keineswegs trivial, denn es wächst die Gefahr, dass Projekte gar nicht oder nur sehr zeitverzögert erledigt werden können. „Zudem erhöht sich der Arbeitsaufwand intern, insbesondere wenn Ausschreibungen ohne Bieter bleiben und erneut ausgeschrieben werden müssen“, berichtet Treude aus der täglichen Praxis. In Einzelfällen könne es gar zur Schließung von Gebäuden kommen, wenn sicherheitsrelevante Arbeiten nicht zeitnah erledigt würden. „Bei Fördermaßnahmen können unter Umständen Termine nicht eingehalten werden, Fördergelder müssten dann zurückgegeben werden“, beschreibt Treude ein weiteres Risiko.