Hagen. Der anhaltende Flüchtlingsstrom bringt Hagen mal wieder an die Kapazitätsgrenzen: Bald müssen wieder Turnhallen belegt werden.

Die Stadt Hagen stößt in diesem Herbst bei der Unterbringung von Geflüchteten, die in Hagen nach Asyl suchen, inzwischen an die Grenzen dessen, was noch zu bewältigen ist. Denn seit der Sommerpause nimmt der Zustrom an Menschen, die vorzugsweise aus Syrien, Afghanistan und afrikanischen Staaten, aber auch aus den Erdbebenregionen in der Türkei und Marokko in Deutschland Schutz suchen, wieder rasanter zu. „Wir kommen an unsere Kapazitätsgrenzen“, formuliert die stets um diplomatische Formulierungen bemühte Hagener Sozialdezernentin Martina Soddemann im Gespräch mit der Stadtredaktion, „die Zahlen nehmen extrem zu“.

Hagen- Keine Gesamtbetrachtung der Zuwanderungssituation

Parallel zur der sich weiter auftürmenden Flüchtlingswelle bleibt es in Hagen bei der hohen Anzahl an EU-Zuwanderern aus Südosteuropa vorzugsweise aus Rumänien und Bulgarien, von denen sich zurzeit etwa 8000 Menschen im Stadtgebiet aufhalten.

„Das ist schon ein Thema, das die gesamte Stadtgesellschaft bewegt“, hatte Oberbürgermeister Erik O. Schulz noch im Mai im Gespräch mit der Stadtredaktion eingeräumt. Mit Blick auf die Migrationsbewegungen aus Osteuropa stellte der Verwaltungschef seinerzeit fest: „Das ist aber eben nicht nur freizügige Arbeitsmigration, sondern auch Einwanderung in die Sozialsysteme. Wir brauchen eine Debatte, die die Gesamtbelastung betrachtet“, erinnerte er daran, dass in den meisten Städten beispielsweise die EU-Zuwanderung bei weitem nicht so ausgeprägt sei wie in Hagen.

„Wenn man einen gerechten Belastungsausgleich bei den Kommunen haben will, muss man diese Menschen mitbetrachten, ohne dass ich damit die Gruppen gegeneinander ausspielen möchte.“ Nur so lasse sich die grundgesetzliche Forderung nach gleichen Lebensverhältnissen auch tatsächlich umsetzen, so Schulz.

„Das wirkt sich in einer Kommune auf Geld, Infrastruktur, Kita, Schule, Wohnen, Plätze, Spielflächen, Personal, Sozialarbeit, Wohlfahrt, Gesundheitsvorsorge, etc. aus“, skizzierte der Oberbürgermeister die Situation, die sich bis heute unverändert darstellt. „Wenn Land und Bund wie beim Länderfinanzausgleich auch die Aufgabe haben, Belastungen und besondere Situationen auszugleichen, dann muss es eine Gesamtbetrachtung in den Kommunen geben.“ Doch bis heute, so bestätigt auch Sozialdezernentin Martina Soddemann, findet Hagen mit Appellen zwar Gehör, aber keinerlei Berücksichtigung bei den Zuweisungsschlüsseln.

Bislang sei es in Hagen gelungen, weitgehend auf die Unterbringung in Sammelunterkünften zu verzichten und den Menschen in Wohnungen ein Obdach anbieten zu können: „Wir mussten noch keine anderen Optionen ziehen“, sah sich Soddemann – trotz der parallel anhaltenden Kriegsflüchtlingswelle aus der Ukraine – erst nach den Ferien gezwungen, neben der ESW-Bildungsstätte (Evangelische Schülerarbeit Westfalen) in Berchum auch das Haus Busch im Lennetal als Unterbringungsstätte mit heranzuziehen. Doch auch dort sind die Kapazitäten inzwischen nahezu ausgereizt. Vor diesem Hintergrund möchte die Stadt Hagen auf jeden Fall den Mietvertrag für Berchum über den Jahreswechsel hinaus verlängern.

Infos kommt zwei Wochen vorher

Trotz der seit Monaten laufenden, akribischen Arbeit der Verwaltung, sich um Unterkünfte auf dem traditionellen Wohnungsmarkt zu bemühen, sind auch hier die Kapazitäten bei aller konstruktiven Unterstützung durch die ansässigen Wohnungsgesellschaften zunehmend ausgereizt. „Unser einziges Steuerungsinstrument ist die Vorbereitung“, kann die Kommune letztlich auch bloß auf das reagieren, was die Bezirksregierung in Arnsberg an Zuweisungen weiterleitet. Und das gerade einmal mit einer äußerst knappen Vorwarnzeit von 14 Tagen.

Sozialdezernentin Martina Soddemann und ihr Team werden die Geflüchteten, die weiterhin in hoher Zahl nach Hagen strömen, bald nicht mehr in normalen Wohnungen unterbringen können.
Sozialdezernentin Martina Soddemann und ihr Team werden die Geflüchteten, die weiterhin in hoher Zahl nach Hagen strömen, bald nicht mehr in normalen Wohnungen unterbringen können. © WP | Michael Kleinrensing

Dabei kommt Hagen, so weisen die Statistiken des Landes aus, seiner Aufnahmeverpflichtung zurzeit lediglich zu 90,52 Prozent nach – 263 Frauen, Männer und Kinder müssten somit klaglos noch untergebracht werden. Doch für Dezernentin Soddemann sind derartige Quoten lediglich mathematische Übungen: „Wenn die absoluten Zahlen ständig angehoben werden, ist die Aussagekraft dieser Werte eher überschaubar.“ 131 Geflüchtete waren es in diesem Jahr in den Monaten Januar bis August, die in Hagen eine Bleibe fanden, allein in den Monaten September und Oktober kamen bislang weitere 160 Personen hinzu. Die Statistik des Landes addiert für Hagen aktuell insgesamt 2773 Geflüchtete.

Hilfesuchende aus Kriegsgebiet

„Hier herrscht gerade eine hohe Dynamik“, verweist Soddemann darauf, dass auch das Land NRW, dessen Landesunterkünfte inzwischen auch weitgehend vollgelaufen sind, weiterhin dieses hohe Niveau erwartet. Parallel reißt auch der Flüchtlingsstrom aus der Ukraine weiterhin kaum ab. Etwa 500 Menschen aus den Kriegsgebieten kommen zurzeit pro Woche in NRW an – und der nächste Kriegswinter hat noch gar nicht begonnen. Aktuell, so die letzte im Hagener Rathaus bekannte Zahl, bewegen sich etwa 1900 ukrainische Flüchtlinge in der Stadt. Vor diesem Hintergrund kann Sozialdezernentin Soddemann es auch nicht mehr ausschließen, dass in Hagen bald wieder Turnhallen als Unterbringungsstätten für Flüchtlinge und Asylsuchende herhalten müssen.

Welche Orte letztlich konkret ins Auge gefasst werden, erarbeitet nach Angaben des neuen Ordnungsdezernenten André Erpenbach zurzeit der sogenannte „Ereignisstab“. Dieser setzt sich aus Mitgliedern des bei sich zuspitzenden Lagen ohnehin zusammentretenden Krisenstabs sowie den bei diesem Thema notwendigen Fachbereichsleitungen zusammen. Zentrales Thema: Wo lassen sich in Hagen noch Geflüchtete unterbringen? Sobald es konkrete Ergebnisse gibt, so kündigt die Stadt an, werde die Öffentlichkeit informiert.