Hagen. Neun Jahre dauert es, bis Anett Knakowski ihre Diagnose erhält. Ihr Leben hat sich seither verändert. Die Krankheit wird oft nicht ernst genommen

Anett Knakowski lächelt. „Ich komme schon zurecht“, sagt die 40-Jährige. Sie ist ein fröhlicher Mensch. Offen. Herzlich. Angesichts ihrer Krankheitsgeschichte und den unzähligen Operationen, Tagen und Wochen, die sie in Krankenhäusern und auf dem Operationstisch verbracht hat, ist es beachtlich, dass sie nie den Mut oder ihre Hoffnung verloren hat. Ihre Erkrankung hat ihr Leben verändert. Seit der Diagnose vor 21 Jahren.

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    „Eigentlich ging es aber schon vor meiner ersten Periode los, da müsste ich elf gewesen sein. Ich hatte massive Unterleibskrämpfe und extreme Schmerzen. Es waren Krämpfe wie Presswehen, es fühlte sich an, als ob einem etwas zwischen die Beine rutscht“, sagt Anett Knakowski. Ihre Symptome wurden abgetan – normale Periodenschmerzen halt. Sie bekam die Pille.

    Neun Jahre bis zur ersten Diagnose – das ist keine Seltenheit

    Neun Jahre dauert es, bis Anett Knakowski ihre Diagnose erhält – durch einen Zufallsfund bei einer ganz anderen Operation. „Bei mir wurde ein großes Myom gefunden, das in einer Notoperation entfernt werden sollte“, erinnert sich die Bochumerin. „Bei der Operation fand der Arzt Endometrioseherde. Und da wusste ich dann das, was ich schon vorher die ganze Zeit gespürt habe – nämlich, dass die Schmerzen und die Krämpfe nicht nur ,normale Periodenschmerzen’ sind.“ Sondern Endometriose.

    „Endometriose ist häufigste gutartige Erkrankung bei Frauen im gebärfähigen Alter“, erklärt Dr. Askin Dogan, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Agaplesion Klinikum Hagen. Es handelt sich um eine chronische Erkrankung, die zwar behandelbar, aber nicht heilbar ist.

    Dr. med. Askin Dogan ist Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Agaplesion Klinikum Hagen.
    Dr. med. Askin Dogan ist Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Agaplesion Klinikum Hagen. © Agaplesion | AKH

    20 Operationen – und die Herde kommen immer wieder

    Bei der Erkrankung wächst Gewebe, welches der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter. Dieses Gewebe siedelt sich beispielsweise an den Eierstöcken, im Bauch- und Beckenraum, am Darm oder Bauchfell an. Aus Endometrioseherden bilden sich Endometriosezysten. Diese Prozesse führen zu chronischen Entzündungen, die extreme Schmerzen verursachen können.

    „Wir wissen nicht hundertprozentig, wie Endometriose entsteht. Aber es gibt Risikofaktoren, wie beispielsweise eine retrograde Menstruation (dabei fließt das Menstruationsblut auch in die umgekehrte Richtung durch die Eileiter in den Bauchraum). Endometriose tritt am häufigsten im kleinen Becken auf, die Blase ist häufig auch befallen“, so der Chefarzt.

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    Wie bei Anett Knakowski. Wobei ihr Fall sicherlich ein Extremfall ist – „ich wurde mittlerweile 20 Mal operiert. Mir wurden bereits Gebärmutter und Eierstöcke entnommen sowie Teile des Darms und der Blase entfernt. Letztes Jahr im Dezember hatte ich die letzte Operation“, blickt die 40-Jährige auf ihre Krankheitsgeschichte. Zu Dr. Askin Dogan kam sie bereits vor mehreren Jahren (als er noch nicht am Klinikum Hagen war) über ihre endometriose-zertifizierte Gynäkologin und ist es bis heute. Auch die Hagner Klinik hat ein Endometriose-Zentrum, das sich derzeit auf eine erneute Zertifizierung vorbereitet.

    Operationen nur, wenn es dringend erforderlich ist

    Die Erkrankung könne mit Hilfe eines Ultraschalls oder Laparoskopie festgestellt werden – mittlerweile sei der Ultraschall das beste Mittel zur Feststellung. „Bis zur ersten Diagnose dauert es Studien zufolge aber häufig fünf bis zehn Jahre“, gibt Dogan Einblicke. „Bei einigen Frauen treten jahrelang nicht einmal Symptome auf und erst bei der Kinderplanung fällt die Erkrankung auf.“ Dann gibt es noch Fälle wie den von Anett Knakowski – einhergehend mit Symptomen wie Schmerzen oder heftigen Krämpfen.

    Mit Blick auf die Behandlungsmöglichkeiten erklärt der Chefarzt: „Operationen sind nicht mehr State of the Art. Viele Operationen wurden umsonst gemacht – operieren sollte man nur, wenn extreme Schmerzen und große Herde vorliegen und es zwingend notwendig erscheint.“ Es gebe auch konservative Behandlungsmethoden (Tabletten oder Spritzen). „Die Erkrankung ist chronisch – es kann also immer passieren, dass nach einer Operation die Herde zurückkehren.“

    Die Herde kommen immer zurück

    Bei Anett Knakowski kamen die Herde jedes Mal zurück. Nach jeder OP. Durch all die Umstände, die bei der Bochumerin zusammenkommen, leidet sie mittlerweile auch an Osteoporose und Arthrose. „Endometriose kommt eben selten allein“, sagt sie. So kämpft sie im Alltag auch mit Lebensmittelunverträglichkeiten (die medizinisch nicht nachgewiesen sind). „Aber es ist üblich, dass Endometriose-Patientinnen einen empfindlichen Darm haben“, betont auch Dr. Askin Dogan.

    Durch die Verkleinerung der Blase muss die 40-Jährige mittlerweile alle zwei Stunden „kathetern“ – also ihre Blase über einen Katheter entleeren. „Auch nachts, sonst könnte sie platzen. Mein Körper hat sich aber an den Rhythmus gewöhnt – ich empfinde das nicht mehr als schlimm“, sagt sie und lächelt. Seit fünf Jahren ist sie in der Erwerbsminderungsrente. „Ich könnte keinen normalen Bürojob mehr machen. Das ginge nicht.“

    Starke Belastung: körperlich, aber auch psychisch

    Anett Knakowski leitet mittlerweile eine Selbsthilfegruppe für Endometriose-Betroffene in Bochum und ist Mitglied in der Endometriose-Vereinigung Deutschland. Sie möchte anderen Frauen helfen und aufklären. Das sei – neben regelmäßigen Kontrolluntersuchungen – besonders wichtig, betont auch der Chefarzt: „Die Erkrankung bedeutet eine starke Belastung, körperlich aber auch psychisch. Denn oft gibt es zu allen Problemen auch noch Probleme in der Partnerschaft, weil Geschlechtsverkehr mitunter starke Schmerzen verursachen kann“, blickt er nur auf ein Beispiel. Auch bei Arbeitgebern oder Unbeteiligten fehle oft das Verständnis für die Erkrankung.

    Darüber zu sprechen ist für viele Frauen mit Schamgefühl verbunden. Umso beachtlicher, dass Anett Knakowski so offen und ehrlich über dieses Thema sprechen kann. „Ich mache das, um anderen zu helfen“, sagt sie. „Ich weiß noch, wie es mir damals ging – da gab es sowas wie Selbsthilfegruppen noch nicht. Das ist meine Motivation.“

    >>>> Weitere Infos: Endometriose-Vereinigung als Anlaufstelle

    Informieren können sich Betroffene oder Interessierte unter anderem auch auf der Seite der Endometriose-Vereinigung Deutschland. Dort sind in einer Übersicht auch alle Selbsthilfegruppen sowie deren Ansprechpartner zu finden (auch Anett Knakowski). In Hagen selbst gibt es bislang keine Endometriose-Selbsthilfegruppe, die nächstgelegene befindet sich derzeit in Schwerte.