Hagen. Gut 49 Prozent der Hausärzte in Hagen sind bereits älter als 60 Jahre. Niederlassen darf sich hier aktuell trotzdem nur eine neue Praxis:
Fast jeder zweite Hausarzt im Stadtgebiet steht kurz vor der Rente: „Im Mittelbereich Hagen sind derzeit rund 49 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte älter als 60 Jahre. Zum Vergleich: In Westfalen-Lippe sind dies im Moment rund 40 Prozent“, sagt Stefan Kuster, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, die für die niedergelassenen Ärzte verantwortlich zeichnet.
Ins Förderverzeichnis der KVWL – eine Art Frühwarnsystem – hat es Hagen bislang trotz der alarmierenden Zahlen noch nicht geschafft. Denn die aktuelle Versorgung sieht noch mehr als gut aus: In Hagen sind derzeit 115,25 Hausärzte tätig (Vollzeitäquivalente). Damit beträgt der Versorgungsgrad im Moment 109,2 Prozent.
Weiche Faktoren sind entscheidend
Das dürfte sich allerdings in den kommenden Jahren mit Blick auf das Alter vieler Ärzte ändern. „Generell lässt sich sagen, dass die Nachbesetzung von Arztsitzen in vielen Regionen, vor allem im ländlichen Bereich, schwieriger wird, da sich nicht genug junge Medizinerinnen und Mediziner für eine (eigene) Praxis entscheiden. Zugleich sind für junge Ärzte, die sich für eine Niederlassung interessieren, auch die sogenannten weichen Faktoren entscheidend. Wichtig ist zum Beispiel, ob ausreichend Praxisräume, Baugrundstücke, Kinderbetreuungsangebote oder Jobmöglichkeiten für den Partner/die Partnerin vorhanden sind, um nur einige Beispiele zu nennen“, erklärt Kuster.
Nur eine weitere Niederlassung in Hagen möglich
Um die Versorgung zu sichern dürfe jedoch nicht nur die Zahl der Ärzte in den Blick genommen werden, „zumal diese nicht beliebig vermehrbar ist, sondern es muss ebenso auf die Rahmenbedingungen wie fehlende Medizinstudienplätze und die Inanspruchnahme geschaut werden“, so Kuster. Mit Blick auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen beispielsweise komme es zu vermehrter Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen aufgrund gesunkener Gesundheitsbildung in der Bevölkerung. Auch nehme zum Beispiel das Erstellen von Gutachten immer mehr Zeit in Anspruch.
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„Bei all diesen Rahmenbedingungen liegen Aufgabenstellungen für die Politik. Kommt es zu lokalen Engpässen, setzt sich die KVWL für die Erteilung eines Sonderbedarfs ein und stellt finanzielle Anreize zur Verfügung. Auf der politischen Ebene setzt sich die KVWL für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Versorgung ein.“
In Hagen bestehe derzeit lediglich noch eine weitere hausärztliche Niederlassungsmöglichkeit, bevor eine „Sperre“ verhängt werde. Heißt: Dann darf sich keine neue Praxis mehr hier niederlassen.
Finanzielle Anreize für neue Ärzte
Als Maßnahmen zum Gegensteuern gegen den Ärzterückgang nennt die KVWL unter anderem besagtes Förderverzeichnis, in das es Hagen bislang nicht geschafft hat. Es soll aufzeigen, in welchen Gemeinden sich in naher Zukunft Probleme bei der ärztlichen Versorgung entwickeln könnten. Wichtige Indikatoren dafür sind die Altersstruktur und der Versorgungsgrad. Ärzte, die sich in den dort aufgeführten Städten niederlassen möchten, können beim KVWL-Vorstand einen Antrag auf Unterstützungsmaßnahmen stellen (z.B. Gewährung von Darlehen zum Praxisaufbau oder Übernahme von Einrichtungskosten). Damit soll eine Unterversorgung frühzeitig vermieden werden.
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Allein im Jahr 2022 seien so rund 3,2 Millionen Euro zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Versorgung investiert worden und es sei nachweislich gelungen, die Versorgungssituation in verschiedenen Städten und Gemeinden zu verbessern.
Kampagnen und Trainings
Mit der Kampagne „Praxisstart“ sollen zudem weitere Anreize bei der Nachwuchsgewinnung in der ambulanten Versorgung gesetzt werden. Nach dem Motto „Nach der Theorie kommt die Praxis“ bietet die KVWL beispielsweise finanzielle Fördermöglichkeiten sowie Informations- und Beratungsangebote für den ärztlichen Nachwuchs an. Die Experten informieren auch über beruflichen Perspektiven im ambulanten Sektor und beantworten Fragen rund um die Niederlassung.
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Auch eine praktische Niederlassungsbegleitung wird angeboten: Sie richtet sich an Internisten, die bisher im Krankenhaus tätig waren und einen Wechsel in die ambulante hausärztliche Versorgung beabsichtigen. Sie können unter Anleitung eines erfahrenen Hausarztes als Assistent ein „Training-on-the-job“ absolvieren und dadurch Sicherheit für die Hausarzttätigkeit erlangen. In Gemeinden mit bis zu 40.000 Einwohnern kann der Förderbetrag bis zu 9.000 Euro monatlich betragen, in größeren Gemeinden bis zu 5.000 Euro pro Monat – jeweils maximal für ein Jahr.
Sitze werden ausgeschrieben
Im Auftrag der Praxisinhaber bzw. deren Erben schreibt die KVWL die abzugebenden Arzt- und Psychotherapeuten-Praxen in Gebieten zur Übernahme durch Nachfolger aus – in Hagen betrifft das (Stand Mai) beispielsweise eine Frauenarztpraxis, eine HNO-Praxis sowie drei Sitze für Verhaltenstherapie-Praxen.