Haspe. Plötzlich war bei Amira Brkic keine Puls mehr zu spüren. An der Kardiologie in Haspe holt das Team die Frau zurück ins Leben. Ihre Geschichte:
Wenn bei Amira Brkic die Erinnerung an jenen Juni-Sonntag des vergangenen Jahres kurz nach dem Frühstück hochkommt, rollen ihr die Tränen über die Wange: Unwohlsein, rasender Herzschlag, Schwindel, Ohnmacht, plötzlich kein Puls mehr zu spüren. Panisch versucht sich ihr Lebensgefährte an Mund-zu-Mund-Beatmung, presst für eine Herzmassage rhythmisch auf den Brustkorb und ruft in seiner Verzweiflung um Hilfe, so dass die Nachbarn den Notarzt alarmieren. „Ich war schon mal weg“, fasst die 38-Jährige heute ihre Gedanken zusammen.
Es dauert exakt 37 Minuten, bis in einem Bochumer Krankenhaus wieder ein normalerer Herzschlag wahrnehmbar wird. Einen Tag lang liegt die Patientin im Koma. Bis heute bleiben Erinnerungslücken an dieses traumatische Erlebnis. Nach einer Verlegung und einem lebensrettenden Eingriff in der Klinik für Kardiologie und Rhythmologie des Evangelischen Krankenhauses Hagen-Haspe blickt sie zwar emotional, aber zunehmend mit gelassener Distanz auf diese Nahtoderfahrung. Denn dem Team um Chefarzt Privatdozent Dr. Harilaos Bogossian ist es durch eine sogenannte Ablation – also eine Verödung im Herzreizleitungssystem – gelungen, dem wichtigsten Muskel im menschlichen Körper einen gesunden Rhythmus zurückzugeben.
Attacken einmal im Jahr
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Kurz vor ihrem 18. Geburtstag musste Amira Brkic zum ersten Mal erleben, dass ihr Herz urplötzlich losraste: „Von einer Sekunde zur nächsten hämmerte mein Puls mit mehr als 200 Schlägen pro Minute“, erinnert sie sich an dieses Schlüsselerlebnis, das etwa 30 Minuten anhielt. Die damals noch junge Frau lebte seinerzeit in Bosnien und erlebte fortan ähnliche Attacken aus dem Nichts etwa einmal pro Jahr. „Meist gelang es mir, durch Pressen in den Bauch – ähnlich wie bei einer Geburt – oder auch das schnelle Trinken von kaltem Wasser das äußerst unangenehme Pochen wieder in den Griff zu bekommen.“ Die Ärzte in ihrer Heimat sahen, weil sie auch nie das Bewusstsein verlor, damals keine Notwendigkeit, hier kardiologisch einzugreifen – zumal die medizinischen Möglichkeiten seinerzeit auch noch begrenzt waren.
„Bei diesem Herzfehler handelt es sich um das WPW-Sydrom (Wolff-Parkinson-White), eine angeborene Anomalie des Reizleitungssystems“, bestätigt Oberarzt Dr. Kostantinos Iliodromitis, dass die Symptome meist erst zum Ende der Pubertät oder im frühen Erwachsenenalter auftauchen. „Es ist vergleichbar mit einem Kurzschluss im Herzen.“ Ursachen sind angeborene Veränderungen, bei denen eine zusätzliche Leitungsbahn für die Weiterleitung von elektrischen Impulsen von den Vorhöfen zu den Hauptkammern des Herzens existiert. Der elektrische Impuls kann somit unter bestimmten Umständen über die normale Leitungsbahn (AV-Knoten) vom Vorhof zu der Herzkammer, aber auch über die eigentlich überflüssige zusätzliche Leitungsbahn von der Kammer zurück zum Vorhof fließen. Hierdurch dreht sich der elektrische Impuls wie in einem großen Kreisverkehr und führt dadurch zu einem stark beschleunigten Puls.
Kombination macht die Gefahr
Das wird von den Betroffenen zwar naturgemäß als äußerst unangenehm empfunden, ist jedoch zunächst einmal nicht lebensgefährlich. Problematisch wird es allerdings, wenn weitere Herzrhythmusstörungen vorkommen. Insbesondere beim Auftreten eines Vorhofflimmerns kann aus dem WPW-Syndrom eine lebensbedrohliche Erkrankung werden. Diese gefährliche Konstellation wird häufig jedoch erst später offenkundig, weil ein Vorhofflimmern wahrscheinlicher mit dem zunehmenden Alter der Patienten auftritt.
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Eine Erfahrung, die ähnlich auch Amira Brkic machte, als die angehende Lehrerin, die sich zurzeit als Kauffrau im Gesundheitswesen beruflich etablieren möchte, vor zwölf Jahren nach Deutschland kam. Ihre Bochumer Kardiologin sah angesichts der seltenen Herzrasen-Ereignisse weiterhin keine Notwendigkeit, hier akut eingreifen zu müssen. Der MRT-Befund des Herzens blieb unauffällig und die regelmäßige Einnahme von Medikamenten schien unverhältnismäßig.
Nicht zu spät zum Facharzt
Bis zu jenem Schlüsselerlebnis im vergangenen Jahr: „Wenn ich daran denke, überkommen mich noch immer Ängste“, spricht die 38-Jährige ganz offen vor allem über jene Momente, in denen sie allein ist. „Es gab bei der Patientin letztlich zwei Diagnosen, die für sich betrachtet beide gutartig sind, aber in der Kombination bösartig werden“, unterstreicht Chefarzt Bogossian, dass die sofortige Verödung der zusätzlichen Herzleitung absolut geboten gewesen sei. Bei einem solchen Eingriff, der sich über mehrere Stunden hinziehen kann, wird über die Leiste ein Katheter ins Herz eingeführt, wo unter intensiver Überwachung des gesamten Medizinerteams die fehlgeleiteten Reizsignale über die Nervenbündel unterbrochen und somit gestoppt werden.
„Das hat viel mit Erfahrung zu tun“, kann der Leiter der Klinik gut nachvollziehen, dass bei seiner Patientin heute noch mulmige Gefühle aufkommen, wenn sie an den Eingriff in ihrem Herzen zurückdenkt, den sie zum Teil bei vollem Bewusstsein miterlebte. Bogossian möchte heute zunächst einmal abwarten, wie Amira Brkic ihre Lebensqualität zurückgewinnt, bevor er sich auch dem Vorhofflimmern widmet: „Dabei handelt es sich um eine gutartige Rhythmusstörung, die seinerzeit nicht ursächlich zu der Reanimation geführt hat.“ Das Risiko eines solch kontrolliert vorgenommenen Eingriffs sei „sehr überschaubar“, betont der Mediziner und gibt zugleich den Ratschlag an potenzielle Patienten: „Man sollte sich dem Thema nicht zu spät widmen, denn umso schwieriger lassen sich Herzrhythmusstörungen dann auch wieder beseitigen.“