Haspe. Das Gemeindehaus in Westerbauer mit seiner markanten Architektur prägt das Stadtbild in Haspe. Am Sonntag gibt es dort den letzten Gottesdienst.
„Von Pfarrer Heinrich Kratzenstein wurde ich hier getauft, schon als Zweijähriger bin ich hier in den Kindergarten gekommen. Wesentliche Voraussetzung war seinerzeit, dass ich schon trocken war“, erinnert sich Siegfried Gras. Die weitere christliche Menschwerdung über den Konfirmandenunterricht, das Orgelspiel, die Gottesdiensthelfer-Stunden bis hin zu seiner ersten Predigt vor einer Gemeinde führte den einstigen Hasper Pastor immer wieder in das Gemeindehaus Westerbauer an der Enneper Straße. Heute ist Gras 78 Jahre alt und wird an diesem Sonntag, 18. Juni, um 15 Uhr gemeinsam mit dem aktuellen Geistlichen-Team der Evangelischen Kirchengemeinde Hagen-Haspe – Friederike Paroth, Sandra Thönniges und Jürgen Schäfer – miterleben müssen, wie die ehrwürdige Gottesdienststätte entwidmet wird.
„Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Dieser Satz von Jesus aus dem Matthäus-Evangelium, gilt natürlich auch weiterhin für eher dürftig besuchte Gottesdienste, „doch angesichts der üppigen Dimensionierungen ist das Haus als Gottesdienststätte nicht mehr haltbar“, macht die aktuelle Pfarrerin Friederike Paroth kein Hehl daraus, wie schwer dieser endgültige Schritt allen Beteiligten fällt. Wobei sie zugleich betont, dass es in einem über Jahre sich zuspitzenden Entscheidungsprozess neben der großen Trauer auch immer viel Verständnis gegeben habe, so dass am Ende eine einstimmige Entscheidung im Presbyterium gefallen sei. „Nichts macht man weniger gerne, als eine Gottesdienststätte zu schließen, aber es ist das Einzige, was Sinn macht.“
Gemeinde spendiert den Turm
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich angesichts wachsender Gemeindemitgliederzahlen im Hagener Westen der Wunsch, eine neue Kirche entstehen zu lassen. Doch vorzugsweise aus Kostengründen wurde die ambitionierte Idee zunächst einmal verworfen. Man beließ es zunächst dabei, eine vierte Pfarrstelle einzurichten. Dennoch entwickelte der Architekt Heinrich Balser für Westerbauer das Konzept einer Kleinkindschule mit Küster- und Schwesternwohnung, Konfirmandensaal, Kirche und Pfarrhaus, das wegen der immensen Kosten von 63.000 Mark noch einmal gestalterisch abgespeckt wurde. Obwohl die Gemeindemitglieder am Ende sogar den rundlichen Glockenturm spendierten, lag zur Eröffnung am 16. Juli 1911 dennoch eine Gesamtrechnung von 57.000 Mark auf dem Tisch.
An diesem Sonntag, also 112 Jahre später, werden nun die sakralen Gegenstände wie die Bibeln, das Kreuz oder auch der Altar aus dem Dienst genommen. „Wir werden sie noch einmal würdigen und anhand ihrer Funktionen Erinnerungen Revue passieren lassen“, gibt Friederike Paroth einen kleinen Einblick in das Sonntagsprogramm, an das sich natürlich noch ein gemeinsames Kaffeetrinken zum Plaudern anschließt. Dabei werden sicherlich auch die Jahre des deutlich pralleren Gemeindelebens, der Feste, der Proben des Kirchenchores „Go Heaven“, der CVJM-Turnangebote oder auch die Aktivitäten der Seniorengruppen, die künftig alle im Gemeindehaus in der Frankstraße eine neue Heimat finden können, im Mittelpunkt stehen.
„Nach dem Krieg gab es sogar noch einmal Bestrebungen, hier eine Thomas-Kirche – in Anlehnung an die Hütte – entstehen zu lassen“, blickt Gras kurz in die Historie zurück. Gönner hatten sogar schon damit begonnen, monatlich zehn D-Mark für das Projekt einzusammeln, doch am Ende blieb es, nicht zuletzt aufgrund des schleichenden Niedergangs des Stahlstandortes, bei einer Vision. Das Startkapital wurde stattdessen in eine Sanierung sowie den Bau des Gemeindezentrums Kirche und Sport am Quambusch investiert.
Gemeinnützige Weiternutzung als Ziel
Natürlich soll auch die kleine Orgel – echte Handarbeit – künftig an anderer Stätte erklingen: „Wir freuen uns, wenn sie woanders spielt und Freude spendet“, betont Pfarrerin Paroth. Wie es mit dem angrenzenden Baumhaus-Kindergarten weitergeht, steht derweil noch in den Sternen: „Wir streben eine gemeinnützige Weiternutzung der Gebäude an“, bleibt die Geistliche betont kryptisch und verkneift sich eine verbindliche Bestandszusage. „Wir befinden uns in intensiven, aber noch vertraulichen Gesprächen“, signalisiert sie jedoch Zuversicht, dass der gesamte Standort im Geiste der Gemeinde durchaus eine Zukunft haben könnte. „Die Evangelische Kirchengemeinde Haspe möchte hier keinen Reibach machen, sondern lediglich die Kostenlast minimieren.“
Bis dahin dient die stadtbildprägende Immobilie abseits des Verkehrsgetöses der vielbefahrenen Enneper Straße ohnehin noch einem ehrenwerten Zweck, der vollumfänglich dem christlichen Geist entspricht. Denn das Gebäude bietet zurzeit ukrainischen Flüchtlingsfamilien Schutz vor dem gnadenlosen Kriegsgeschehen in ihrer Heimat. Eine Funktions die Jesus ebenfalls gefallen dürfte – auch ganz ohne das Etikett „Gottesdienststätte“.