Hagen. DGB-Chef Stefan Marx will sich mit der hohen Arbeitslosenquote in Hagen nicht abfinden. Er setzt auf einen engen Schulterschluss in der Stadt.
Angesichts der anhaltend hohen Arbeitslosenquote in Hagen jenseits der Elf-Prozent-Marke fordert der Hagener DBG-Chef Stefan Marx einen gemeinsamen Impuls aller lokalen Beteiligten, um von diesem gerade in Zeiten von Fach- und Arbeitskräftemangel alarmierenden Niveau (11.638 Betroffene) wieder herunterzukommen: „Es fehlt einfach der gemeinsame Wille zum Aufbruch in dieser Stadt“, mahnt der Regionsgeschäftsführer mit seinem professionellen Blick über die Stadtgrenzen hinweg entlang der Volme deutlich mehr Initiative an. Dabei sieht er durchaus den Oberbürgermeister in der Pflicht, die Kräfte von Arbeitsagentur und Jobcenter mit den städtischen Institutionen, der Wirtschaftsförderung, den Jugendberufsagenturen, den Gewerkschaften, aber auch der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK) zu bündeln.
„Vor allem bei den Langzeitarbeitslosen – zurzeit sind das 9054 Menschen – ist in der Vergangenheit zu wenig gemacht worden“, blickt Marx mit Sorge auf einen stabilen Sockel von Frauen und Männern, die schon seit Jahren ohne Beschäftigung sind und auch keine realistische Perspektive zurück ins Berufsleben sehen: „Und das an einem starken Produktionsstandort besonders auch in der Metall- und Elektroindustrie. Wenn ich in Hagen erwerbslos werde, kann ich schnell wieder etwas Neues kriegen. Aber wir müssen an die Kunden des Jobcenters und vor allem die jungen Leute ran“, sieht Marx, der zugleich die Rolle des Vorsitzenden des SIHK-Berufsbildungsausschusses bekleidet, hier den Schlüssel zu einer erfolgreichen Trendwende.
Paketdienstfahrer statt Ausbildung
Abseits der offiziellen Zahlen geht der DGB-Chef davon aus, dass zurzeit etwa 20 Prozent der Jugendlichen in Hagen die Schule ohne einen qualifizierten Abschluss verlassen. „Oft wissen wir gar nicht, wo diese Leute geblieben sind. Wenn die sich nicht von sich aus bei der Arbeitsagentur melden, sind die erst einmal vom Beobachtungsschirm der Arbeitswelt verschwunden und schlagen sich irgendwo in der Gastronomie, in Discounter-Lagern oder als Paketdienst-Fahrer durch“, plädiert Marx dafür, hier pragmatischer auf potenzielle Arbeitskräfte zuzugehen. Schulmüde junge Leute oder auch Studienabbrecher könne man kaum damit locken, so die Beobachtung des Gewerkschaftlers, indem man sie für ein weiteres Jahr in irgendwelche Beschulungsmaßnahmen stecke, um weiteres theoretisches Rüstzeug draufzusatteln.
„Das in der Politik so gerne zitierte Credo ,Kein Abschluss ohne Anschluss‘ muss heute viele pragmatischer interpretiert werden“, müssten sich auch Jobcenter und Arbeitsagentur die Frage gefallen lassen, ob das durch Bundes- und Landesgesetzgebung geprägte Instrumentarium noch zu den Realitäten der heutigen Arbeitswelt passe, möchte Marx den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern keinesfalls ihr engagiertes Handeln absprechen.
SIHK blickt mit Sorge auf Wohnsituation in Hagen
Bedenken äußert, ähnlich wie der DGB-Chef, ebenfalls die Südwestfälische Industrie- und Handelskammer (SIHK) mit Blick auf den zunehmend problematischen Fach- und Arbeitskräftemangel. Hauptgeschäftsführer Ralf Geruschkat, der sich in seiner Funktion mit arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Äußerungen zurückhaltend zeigt, macht vorzugsweise den Bevölkerungsmix in der Stadt für die problematische Lage auf dem Arbeitsmarkt mitverantwortlich. Großstädtische Strukturen, so der Wirtschaftslobbyist, würden immer ein bestimmtes Klientel anziehen, das sich seine Community suche: „Andere Städte haben nicht den heftigen Strukturwandel und den günstigen Wohnraum wie wir in Hagen. Städte, die keine Schrottimmobilien haben, ziehen auch nicht so viele schwierige gesellschaftliche Gruppen an“, schlussfolgert der SIHK-Hauptgeschäftsführer im Gespräch mit der Stadtredaktion.
Geruschkat kann sich perspektivisch durchaus vorstellen, dass nicht alle Menschen aus der Flüchtlings- und Zuwanderer-Gruppe sofort eine dreijährige Ausbildung mit IHK-Fachprüfung auf Deutsch durchlaufen müssen, sondern zunächst mit abgestuften Qualifizierungsmodulen gearbeitet wird: „Ein Maschinenbediener muss nicht sämtliche Grundlagen der Werkstofftechnik beherrschen“, räumt der Wirtschaftsvertreter aber auch ein, dass dies eher kurzfristig gedacht sei.
Letztlich müsse die goldene Mitte gefunden werden, wie Menschen adäquat in Beschäftigung gebracht würden, statt in den Sozialsystemen zu verharren. Zugleich erinnert er: „Auch ein Helfer muss spätestens in fünf Jahren für die nächste Maschinengeneration fit gemacht werden, weil ihm letztlich jegliche Grundlagen einer qualifizierten Ausbildung fehlen.“
Zugleich will er auch die duale Ausbildung („Das ist ein Pfund!“) keinesfalls in Frage stellen. „Aber wir müssen auch dieses System mit Blick auf die Lebensentwürfe der jungen Menschen nachschärfen“, schiebt er gleich ein Beispiel nach: „Warum sollte es für einen Studienabbrecher, der von der Hochschule schon reichlich theoretisches Rüstzeug mitbringt, im Handwerk nicht auch Ausbildungsmodelle geben, die bereits nach anderthalb Jahren zur Abschlussprüfung führen?“
Stufenweise in die Berufswelt
Zugleich warnt er vor einem dogmatischen Erstarren in den bestehenden Systemen und regt das Denken in unterschiedlichen Abschlusslevels an, um die Abbrecherquote im Handwerk zu reduzieren und Berufsanfängern den Einstieg in die Jobwelt, eventuell auf Helfer-Niveau, erst einmal schmackhaft zu machen: „Wir müssen durchlässiger werden, indem wir zunächst Basiswissen, später erweitertes Wissen und letztlich Expertenwissen vermitteln“, möchte er die schrittweise Qualifizierung anregen, um dem individuellen Standard jedes Jobeinsteigers entsprechend berufliche Level zu etablieren, auf die dann immer aufgesattelt werden könne. „Eine Stigmatisierung einer Ausbildung in Latzhose ist völlig aus der Zeit gefallen, da die Perspektiven über Weiterbildungen heute nahezu grenzenlos sind“, spricht sich der Gewerkschaftsführer zugleich gegen den anhaltenden Akademisierungswahn aus.
Parallel gibt er den Hinweis, sich in den kommenden Monaten und Jahren bloß nicht auf eine Fachkräftezuwanderung aus dem Ausland zu verlassen, denn der Standort Deutschland sei inzwischen längst nicht mehr so attraktiv wie noch vor zehn Jahren. Potenzielle Interessenten suchten neben dem Job auch eine Wohnung, Sprachkurse sowie eine Familienperspektive. „Da kommen Menschen, nicht nur Arbeitskräfte“, zitiert Marx eine Erkenntnis, die noch aus der Ära der ersten Gastarbeiter stammt, die in den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts von der Montanindustrie des Ruhrgebiets angelockt wurden.
Basis in den Familien legen
Weitere Potenziale für den Arbeitsmarkt sieht er in den Familienstrukturen der Bedarfsgemeinschaften, die zum Teil schon in der zweiten und dritten Generation von Hartz IV lebten: „Da gezielt dran zu gehen, kostet uns weniger als die Kinder und Jugendlichen sozial aufzufangen. Bisher haben wir da nur ein reines Reparatursystem“, empfiehlt er, die Schüler bereits mit 14 oder 15 Jahren an die Hand zu nehmen und regelmäßiger in der Berufswelt beratend zu begleiten.
Beispielgebend verweist der DGB-Chef auf die Stadt Dortmund, wo es sich die Wirtschaftsförderung zur Aufgabe gemacht habe, bereits in den Schulen den Jugendlichen den roten Teppich in Richtung Arbeitswelt auszurollen. Imposant, so die Einschätzung von Stefan Marx, sei auch die Kreativität des Herner Oberbürgermeisters Frank Dudda, der zuletzt auf dem Weihnachtsmarkt sogar das Riesenrad in ein Job-Speeddating-Rondell verwandelte: 15 Firmen führten in den Gondeln 290 Bewerbergespräche. „Klingt etwas populistisch, führte aber tatsächlich in vielen Fällen zu neuen Arbeitsverträgen und holte vor allem das Thema Arbeitslosigkeit auf originelle Weise in die Köpfe der Stadtgesellschaft zurück.“