Hagen. In Hagen gibt es zu viele Friedhöfe mit großen Freiflächen. Es geht um Verluste in Millionenhöhe. Bald soll über ihre Zukunft entschieden werden:
Es rollt ein riesiges Flächen-Thema auf Hagen zu. Und dabei geht es um die über 20 Friedhöfe in der Stadt. Das allein ist eine Zahl, die, gemessen an Größe und Einwohnerzahl der Stadt, viel zu groß ist. Und dazu kommt: Die Bewirtschaftung der riesigen Flickenteppiche durch den Wandel in der Bestattungskultur ist ein millionenschweres Verlustgeschäft. Vorarbeiten für eine „Friedhofsbedarfsplanung“, wie das schwierige Projekt heißt, wurden gemacht.
Doch der für die Friedhöfe zuständige Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH) macht daraus bislang eine geheime Verschlusssache. Auf kirchlicher Seite sieht das nicht anders aus.
Der Wirtschaftsplan des WBH ist nicht öffentlich einsehbar. Doch wäre er es, dann könnten Bürger erfahren, dass der WBH Verluste fährt mit Blick auf die allein zehn kommunalen Friedhöfe. Dabei geht es um zwei Millionen Euro. Die kommen laut WBH-Chef Hans-Joachim Bihs aus einem simplen Grund zustande: „Zu viele Flächen für zu wenig Personal.“
Zwei Millionen Euro Verlust
Problematisch ist dabei nicht nur das Verhältnis von der Anzahl der Friedhöfe zu Mitarbeitern, sondern auch die Flächen selbst. Denn der WBH bewirtschaftet und pflegt riesige Flächen und viele Wege, entlang derer sich überhaupt niemand mehr beerdigen lässt.
Wo früher mal Erdgräber waren, in denen Menschen im Sarg ruhten, sind heute Grasflächen. Die Flächen, die Wege, die Bäume an ihnen, die Verkehrssicherungspflicht, die Instandhaltung von Wasserleitungen: Es wird de facto Pflegeaufwand für etwas betrieben, das nicht mehr da ist.
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Was die Vermessung der Friedhöfe und die große Hagener Bestandsaufnahme im Vorfeld der nach der politischen Sommerpause beginnenden Friedhofsbedarfsplanung angeht, lässt sich Hans-Joachim Bihs nicht in die Karten schauen. Er will zunächst die Politik informieren. Gespräche und Recherchen dort zeigen, dass das, was Bihs auf dem Schreibtisch liegen hat, auch dort niemand kennt. Eine Vorab-Information an die Politik hat es gegeben. Tenor: Zu viele Friedhofsflächen, zu wenig Bedarf.
Das Gebühren-Dilemma
In der Politik wurde das große Dilemma Ende 2022 sehr deutlich. Die Friedhofsverwaltung – untypisch für den Gebührenbereich – steht „faktisch im Wettbewerb“, hieß es da. Eine Kostendeckung ist demnach quasi unmöglich, weil für Friedhofsflächen kein Benutzungszwang besteht und somit interkommunaler Wettbewerb besteht, der durch das Angebot weiterer kirchlicher Friedhöfe nur noch verstärkt wird.
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Zweitens: Im Bereich der nicht-hoheitlichen Leistungen (z.B. Trauerfeiern, Aufbewahrung von Toten) gibt es zunehmend Konkurrenz durch Bestatter, bis hin zu privaten Komplettlösungen.
Und drittens und dazu paradox: Die Friedhofsverwaltung macht sich selbst Konkurrenz durch das Vorhalten eines großen Angebotes von Grab- oder Bestattungsarten. „Der Versuch, ein strukturelles Defizit vollständig durch Gebührenerhöhungen auszugleichen, ist vor dem gezeigten Hintergrund daher grundsätzlich nicht möglich. Es ist daher unvermeidbar, gewisse Defizite bzw. Kostenunterdeckungen hinzunehmen, insbesondere auch vor der Tatsache, dass die Kommune im Rahmen der Daseinsvorsorge verpflichtet ist, Friedhöfe zu betreiben.“
Eine Frage der Pietät
Aber ist das so? Und muss eine so klamme Kommune wie Hagen das wirklich hinnehmen? Nach WP-Recherchen ist klar, dass von den weit über 60 Hektar großen städtischen Friedhofsflächen 15 ausreichen würden, um das erwartete Bestattungsvolumen in Hagen aufzunehmen.
Würde man diese Reduzierung konsequent vornehmen, wäre das das faktische Aus von Klein-Friedhöfen wie Berchum, Garenfeld, Halden oder Holthausen. Doch die Ruhefristen verstreichen lassen und die Friedhöfe schließen, so einfach wird es nicht sein.
„Das ist in der Realität extrem schwierig“, sagt Hans-Joachim Bihs. „Das ist eine Frage der Pietät.“ Gräber würden Gräber bleiben, auch wenn Ruhefristen verstrichen wären. Daraus einfach Bauland zu machen, sei nur schwer vorstellbar.
Praktischer und mit weitaus weniger Pflege und Vorschriften verbunden wäre die Lösung, aus Freiflächen Waldflächen werden zu lassen. In anderen Städten, wie Aachen zum Beispiel, ist dieser Prozess bereits angelaufen.
Mit den Kirchen an den Tisch
Stadt und WBH werden sich auch mit den Kirchen an einen Tisch setzen müssen, die die gleichen Trends auf ihren Anlagen treffen. Für die Evangelen, die in Hagen Friedhöfe in Haspe, Boele und Dahl betreiben, sagt Superintendent Henning Waskönig zunächst: „Auf evangelischen Friedhöfen treffen unsere irdische Vergänglichkeit und die unendliche Wirklichkeit Gottes aufeinander. Zugleich müssen sie gut bewirtschaftet werden. Die Bestattungskultur verändert sich stark. Kirchliche Friedhofsträgerinnen, wie z.B. die Kirchengemeinde Haspe, reagieren kreativ auf diese Veränderung mit dem Ziel, dass evangelische Friedhöfe Orte der Hoffnung bleiben.“ Dort läuft ein Projekt zur Biodiversizität.
Einzig die Antwort des katholischen Dechanten Dieter Aufenanger macht deutlich, dass im Hintergrund längst Gespräche laufen. „Aktuell kann ich dazu noch nichts sagen, zumal es ja auch auf evangelischer Seite diverse Friedhofsträger gibt. Nur so viel: Wir sind im Gespräch unter- und miteinander.“
Kommunen haben zwei Optionen
Die Verbraucherinitiative Bestattungskultur Aeternitas erklärt zu den genannten Problemen: „Um dem Problem der Überhangflächen zu begegnen, bestehen für die Friedhofsträger zwei Handlungsoptionen. Sie können entweder die nicht benötigten Flächen entwidmen und für andere öffentliche Zwecke bereitstellen oder sie veräußern. Nicht zuletzt spielt der Gesichtspunkt der Pietät eine Rolle. Gleichwohl ist es unabdingbar, sich der Frage zuzuwenden, welcher alternativen Nutzung zusammenhängende Überhangflächen zugeführt werden können. Dazu zählen zum Beispiel Kultur und Sport, Grünflächen und Gärten, Landwirtschaft und Gartenbau, Regenrückhaltung, Tierfriedhöfe, Rast- und Versorgungsplätze, Überbauung, Energiepflanzen und Photovoltaik.“