Hagen. Kriegsfotograf Andy Spyra aus Hagen verbringt zwei Wochen an der Frontlinie. In einem Krieg mit brutalem Materialeinsatz, wie er sagt.
Andy Spyra ist nicht dafür bekannt, dass er sich besonders häufig des Stilmittels der Dramatisierung bedienen würde. Im Gegenteil. Manchmal hält er im Gespräch wenige Sekunden inne, ehe er eine Antwort rauslässt, die den jeweiligen Kontext ja authentisch beschreibt. Mit Worten hält der Kriegsfotograf es wie mit Fotos. Sie zeigen und sagen, was es ist. Fertig. Spyra (38) ist zurück von der Front in der Ost-Ukraine. Zurück aus einem Krieg, der aus ganz normalen Menschen Soldaten gemacht hat, Freiwillige zu Kriegern.
Am Telefon beschreibt Andy Spyra das Paradoxe. Er spricht von Kiew, das ihm stellenweise so urban und so modern wie Berlin oder Barcelona vorkomme. Von guten Kaffees in dortigen Lokalen. Von Menschen, die zwischen Luftalarm und Detonationen ihrer Arbeit nachgehen. Von ukrainischen Zügen, die bis ins Frontgebiet rollen und höchstpünktlich sind. „War is no excuse“, steht auf Aufklebern darauf. Der Krieg ist keine Entschuldigung für Verspätungen.
Das Bett unterm Fenster
Spyra erzählt, wie er das Bett drei Wochen lang bis dicht unters Fenster schob, damit die Glassplitter über ihn hinwegfliegen, wenn die Scheiben bersten sollten.
Passiert ist das zum Glück nicht. Es gab oft Luftalarm, heftige Detonationen, grelle Lichter in der Nacht. Für das Redaktionsnetzwerk Deutschland arbeitete sich Spyra mit schreibenden Kollegen die ganze Front von Osten bis Süden herab. Bis Cherson, wo sie rund zehn Tage vor der Befreiung durch die ukrainische Armee ankamen. Spyra war in vielen Krisenregionen dieser Welt. In Gräben, in Gefechten, in gefährlichen Situationen. In der Ukraine war er im nahesten Fall nur 1,5 Kilometer von der Frontlinie entfernt. „So weit wie von Eilpe bis zum Markt“, sagt er trocken. „Ein ständiges Wummern. Es ist ein offener Infanteriekrieg mit massivem Materialeinsatz“, macht er eine Unterscheidung zu Gefechten in Syrien oder im Irak, die er miterlebt hat, die mit „Small arms weapons“, mit Kleinwaffen im Häuser- und Straßenkampf beispielsweise geführt werden.
Im Kriegskontext seien 1,5 Kilometer gerade so weit weg, dass man es als relativ sicher bezeichnen könne. Man befinde sich nicht in der Reichweite guter Scharfschützen.
„Ich konnte erfahren, wie sich in der Ukraine, die so erstaunlich europäisch und so nah an unserer Kultur ist, eine regelrechte Kriegsgesellschaft gebildet hat. Mit einer Vehemenz dahinter, die erstaunlich ist. So überzeugt davon, dieses Land mit den eigenen Händen an den Waffen zu verteidigen.“ Doch je weiter man in den Osten komme und auch den Fluss Dnipro überquere, desto ambivalenter würden die Haltungen der Menschen, die man trifft. „Hier gibt es ein anderes Mindset“, sagt Spyra, „sie wissen teilweise nicht, wer in diesem Konflikt angefangen hat. Viele haben Familie in Russland und können die Frage, ob verhandelt werden solle, gar nicht deutlich beantworten.“
16 Tage war Spyra nun in der Ukraine. „Nach rund zwei Wochen geht der Energielevel dann auch runter und es ist gut, wieder nach Hause zu fahren“, sagt Spyra, der nun in Schweden urlaubt. Im Januar wird er sich nach Afghanistan aufmachen, ehe es im Februar wohl noch einmal in die Ukraine gehen soll.