Dahl/Kabul. Vor wenigen Tagen noch in Kabul, jetzt in Dahl. Kriegsfotograf Andy Spyra blickt auf Afghanistan zurück. Und auf die Arbeit mit den Taliban.
Er ist zurück. Nach rund 72-stündiger Reise. Andy Spyra, Hagener Fotograf in Krisen- und Kriegsgebieten weltweit, ist den Heimweg von Kabul in Afghanistan nach Dahl angetreten. Zuletzt hatte unsere Zeitung darüber berichtet, wie Spyra nach einer Rettungsmission am Kabuler Flughafen in letzter Sekunde nach Doha ausgeflogen wurde – und anschließend über den Chaibar-Pass von Pakistan aus wieder nach Kabul kommen wollte. Letztlich gelang das über die Türkei, Usbekistan und die afghanisch-usbekische Brücke der Freundschaft. Offiziell akkreditiert bei den Taliban berichtete er in den vergangenen Tagen mit einem schreibenden Kollegen der ZEIT über die Lage vor Ort, nachdem ausländische Truppen das Land verlassen und die Taliban die Macht übernommen hatten.
Untergekommen bei Nicht-Regierungsorganisation, weil Hotels nicht so sicher sind
„Ich bin froh, wenn ich zwischendurch in die Reizarmut zurückkehre“, sagt Andy Spyra mit einem Lachen und meint das durchaus wertschätzend. Mit jener Reizarmut ist Dahl gemeint, sein eigentlicher Lebensmittelpunkt. Als unsere Zeitung noch Ende vergangener Woche mit Spyra telefonierte, saß er gerade mit seinem Kollegen in einem Kabuler Café und führte Hintergrundgespräche. Untergekommen waren die Reporter bei einer Nicht-Regierungsorganisation, was sicherer ist als große Hotels.
„In Kabul geht das Leben mittlerweile normal weiter“, sagt Spyra. Im Kontext der Taliban haben er und sein Kollege relativ ruhig arbeiten können. „Sie haben uns nicht behindert, aber auch nicht gefördert“, sagt er. Gespräche mit ihnen zu führen und sie zu fotografieren, sei möglich, aber schwierig.
Viele Leute haben drei Wochen das Haus verlassen, weil sie Angst haben
Es herrsche wenig Verkehr in der sonst vollgepumpten Stadt, es seien wenige Frauen auf der Straße, man spüre die Angst. „Die oberen 10.000 haben das Land verlassen, deswegen sieht man auch weniger Landcruiser-Geländewagen auf den Straßen. Wir haben mit vielen Leuten gesprochen, die drei Wochen ihr Haus nicht verlassen haben aus Angst vor den Taliban. Sie sind massiv sichtbar an Checkpoints. Man sieht sie auf der Suche nach IS-Anhängern“, sagt Spyra.
Spyra ist erfahren in derartigen Situationen. Ein Regime-Wechsel kann mitunter zu den sichersten Zeiten gehören, in denen Reporter arbeiten können. In Kabul habe es zuvor stark ausgeprägte Mafia-Strukturen gegeben, die nun zerstört seien. Spyra konnte in lokaler Kluft relativ unbehelligt über die Straßen laufen.
Lokaljournalisten werden verprügelt, weil sie über Frauen-Demo berichten wollten
„Es waren zuletzt nur 50 bis 60 ausländische Journalisten in der Stadt. Wir haben einen Sonderstatus gehabt. Daneben sind das Rote Kreuz und die Vereinten Nationen noch da. Für lokale Journalisten sieht es aber ganz anders aus. Die Lokalpresse in Kabul war vorher sehr lebendig, jetzt ist sie sehr still. Zuletzt wurden zwei Kollegen verprügelt, die über eine Frauen-Demo berichten wollten.“
Bei aller Gewalt, die über Bilder und Texte internationaler Medien aus Afghanistan transportiert würde, klängen die Taliban heute nicht mehr wie die Taliban aus Mitte der 90er-Jahre. Die Töne seien gemäßigter, das Ansinnen durchaus als etwas liberaler zu bezeichnen. Dennoch: Gerade seien die Taliban dabei, ein Ministerium für Recht und Sitte zu installieren, das ihre Gesetze durchbringen soll.
Klar ist schon jetzt: Der nächste Auftrag wir kommen
„Ich war jetzt einen Monat lang in Afghanistan und freue mich über die Rückkehr zu meiner Familie“, sagt Spyra. Welche Kriegseinsätze als nächstes folgen, ist noch nicht klar. Klar ist nur: Spyra und sein schreibender Kollege der ZEIT werden wieder in Kriegsgebiete reisen.