Elsey. Eine Frau wirft ihr Kind in einen Brunnen – und ihre tote Seele findet keine Ruhe. Über eine mysteriöse Sage aus Elsey, die bis heute besteht
Wer an dem unscheinbaren Brunnen im Stift Elsey vorbeigeht, ahnt nichts vom dem grausamen Schicksal, das dieser verbirgt. Der Sage nach kommt jede Nacht genau eine Stunde vor Mitternacht der Geist einer Frau an den Brunnen. Dieser Geist schöpft dreimal Wasser und tritt danach seufzend den Rückweg an. Durch Elsey und über die Reher Heide hinauf geht die Frau dorthin zurück, wo einst der Reher Galgen gestanden, und verschwindet in der Dunkelheit der Nacht.
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Kind in den Brunnen geworfen
Man erzählt sich, die Frau war einst adeliges Stiftsfräulein in Elsey. Sie bekam ein Kind und warf es in den Brunnen. Nach ihrem Tod sei sie verdammt, jede Nacht an den Brunnen zu gehen, bis sie den Leib des toten Kindes wieder hat. Erst dann wird ihre Seele erlöst.
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So oder ähnlich wird die Sage der „Weißen Jungfrau vom Stift“, wie sie genannt wird, seit Jahrzehnten überliefert. Drei Versionen dieser Geschichte erzählt das Buch „Hohenlimburger Sagen“, das nach dem Mauerfall erschien. Sie gehen zurück auf Erzählungen früherer Generationen von Heimatkundlern, namentlich Friedrich Woeste und Jodocus Temme. Jodocus Temme war Jurist in Zeiten von Dampfmaschine und Bismarck. Er arbeitete ein paar Jahre als Gerichtsassessor am Fürstlichen Gericht auf Schloss Hohenlimburg. Sein Zeitgenosse Friedrich Leopold Woeste war Lehrer in Iserlohn und hatte seine Freude an Sprachen und Mundart.
Seele findet schließlich Ruhe
Zumindest in seiner Variante findet die der Jungfrau, die jede Nacht vom Reher Galgen an den Brunnen im Stift kommt, ein friedliches Ende. Woeste erzählt von einem Mann, der eines Nachts den Geist der Jungfrau angesprochen habe. Er erfuhr, dass sie die Gebeine ihres toten Kindes suche, und berichtete davon dem Besitzer des Brunnens. Er hat den Brunnen ausräumen lassen „und die gefundenen Gebeine geweihter Erde übergeben“, schreibt Woeste. Danach konnte die Seele der weißen Jungfrau Frieden finden und ihr Geist sei nie wieder erschienen.
Quellen nebulös
Wie so oft bei Sagen liegen auch hier die eigentlichen Quellen im Dunkeln. Wer die Vorlage für die Jungfrau lieferte, ist ebenso nebulös wie die Erzählung selbst. Doch sollte es wirklich ein adeliges Fräulein gegeben haben, die ihr Kind in den Brunnen im Stift warf, so wurde diese Frau wohl nicht am Reher Galgen gehängt, wie die Sage andeutet.
Kein Tod am Reher Galgen
„Das ist historisch nicht haltbar“, sagt Stephanie Marra. „Frauenkörper durften nach dem Tod nicht öffentlich ausgestellt werden.“ Die Historikerin hat viel zu früheren Hinrichtungsstätten im Stadtgebiet geforscht und publiziert. Beim Tod durch den Galgen war Teil der Strafe, dass der tote Körper zur Abschreckung noch mehrere Tage öffentlich am Galgen bleiben musste, so Marra weiter. Eine Praxis, die demütigt und entehrt, und für Frauen in der Regel nicht infrage kam – besonders aus adeligem Hause.
Brunnen 1986 wiederentdeckt
Derweil war der Brunnen im Stift lange unter einer Teerdecke verschwunden. Erst bei Straßenarbeiten um 1986 kam der Brunnen wieder zum Vorschein. Widbert Felka, Vorsitzender des Heimatvereins Hohenlimburg, erinnert sich noch gut: „Danach kam es zu einer Wiedererrichtung des Brunnenaufbaus in der jetzt vorzufindenden Form.“
Sage bis heute bekannt
Auch die Sage der weißen Jungfrau, die des Nachts zum Brunnen kommt, hat bis heute überdauert. Es soll auch Leute geben, die erzählen, sie hätten die Jungfrau gesehen. Eine Sichtung war Ingrid Schulte allerdings bisher nicht vergönnt. Die Elseyerin wohnt seit Jahren ein paar Meter von dem Brunnen im Stift entfernt. „Es genügt manchmal vielleicht nur der Nebel, der von der Lenne hinaufzieht, um dort einen Geist zu erkennen“, sagt sie.
Brunnen vermüllt
Und wer heute einen Blick in den Brunnen wirft, der wird allzu schnell von der Sagenwelt in die nüchterne Gegenwart zurückgeholt. Denn im Brunnen liegt viel Müll, es wuchert das Unkraut, es riecht muffig. Vielleicht auch ein Grund, weshalb Elseyer wie Ingrid Schulte bisher von keiner Sichtung berichten können. „Ich war allerdings noch nicht kurz Mitternacht am Brunnen“, schiebt sie hinterher. „Auch an Silvester nicht. Aber da wird sich die Jungfrau auch nicht blicken lassen, bei der lauten Böllerei.“
Zuständigkeit unklar
Der Brunnen liegt inmitten des historischen Stift in Elsey. Das Unkraut wuchert, doch wer die Pflege übernimmt, ist unklar. Der Wirtschaftsbetrieb Hagen deutet auf die lutherische Kirchengemeinde Elsey, die keinen Zuständigen hat.
Historisches Areal
Im Elseyer Stift erinnert nur noch wenig an das einstige Damenstift, das dort viele Jahrhunderte seinen Platz hatte. In dem Damenstift lebten zumeist adelige Frauen in einer religiösen Gemeinschaft. Sie waren jedoch keine Nonnen unter strengen Gelübde, sondern durften Eigenbesitz haben und konnten auch das Stift wieder verlassen, etwa wenn sie heiraten wollten.
Stift vor 210 Jahren aufgelöst
Vor 210 Jahren wurde das Stift in Elsey aufgelöst. Erhalten sind noch die denkmalgeschützte Elseyer Pfarrkirche sowie mehrere Kurienhäuser der Stiftsdamen und der ehemalige Stiftskornboden (heute Küsterhaus).