Hagen. Ein Hagener kassiert 3600 Euro Soforthilfe nach der Flutkatastrophe, war aber überhaupt nicht betroffen. Jetzt muss er ins Gefängnis.
Diese Bilder sind nach mehr als einem Jahr unvergessen: Vom Hochwasser geschädigte Hagener stehen geduldig auf dem Bahnhofsvorplatz Schlange. Sie wollen, um die erste Not zu lindern, „Flutopfer-Soforthilfe“ beantragen. Doch in die langen Warteschlangen haben sich auch dreiste Betrüger eingereiht: Die Stadt wird deshalb später 55 Fälle zur Strafanzeige bringen.
Ein besonders unverschämter Abkassierer war der freundlich-smarte Mann, der sich am Freitagmorgen vor dem Schöffengericht verantworten musste. Obwohl seine Wohnung im Hagener Norden gar nicht von der Regenflut betroffen war, hatte er sich gleich fünfmal hintereinander finanziell entschädigen lassen. Dafür fand selbst sein Verteidiger Dr. Iyad Nassif (Essen) keine beschönigenden Worte mehr: „Das war im großen Stil asozial.“ So sah es das Gericht am Ende auch, erkannte auf fünf Fälle des gewerbsmäßigen Betrugs und schickte den Angeklagten für ein Jahr und zehn Monate ins Gefängnis.
3600 Euro Soforthilfe erschwindelt
Vom ersten Eindruck her könnte man den 27-Jährigen, der durchaus jünger wirkt, für einen konservativ-biederen Studenten halten: das kurze dunkle Haar korrekt frisiert, schlichte Brille, schneeweißer Pullover. Um den Hals ein dezentes Goldkettchen mit kleinem Kreuz. Der gute Eindruck täuscht. Denn das Vorstrafenregister weist zahlreiche Eintragungen auf: räuberische Erpressung, Körperverletzung, Missbrauch von Notrufen, Beleidigung, Diebstahl, Urkundenfälschung (sieben Fälle) und diverse Betrügereien – in mehr als 30 Fällen. Zuletzt hatte er bis Juli 2020 drei Jahre und drei Monate im Gefängnis verbüßt. Ende dieses Monats steht eine Berufungsverhandlung am Landgericht an, in der er gegen eine Verurteilung zu weiteren zweieinhalb Jahren Haft vorgehen will.
Angeblich leide er unter Spielsucht und das hätte ihn immer wieder zu weiteren Straftaten gebracht, wie jetzt diese Sache mit der „Flutopfer-Direkthilfe“. Am 25. Juli vergangen Jahres beantragte er das erste Mal eine „Entschädigungsleistung“ und kassierte 1500 Euro. Als angebliche Wohnanschrift gab er ein Haus an der Eichenkampstraße in Haspe an, das tatsächlich von der Überschwemmung betroffen war. Am folgenden Tag griff er weitere 200 Euro ab, vier Tage später erneut 1500 Euro, dann noch zweimal 200 Euro. Insgesamt wurden so 3.600 Euro erschwindelt. „Das Geld war doch so einfach zu bekommen“, sagt Verteidiger Nassif, „und mein Mandant hat das ausgenutzt. Es wurde ihm ganz leicht gemacht.“
Das Schöffengericht hingegen sah keine positive Zukunftsprognose und auch keine Bewährungschance. Richter Christian Dembowski: „Hier wurde in verwerflicher Weise ein Fond geschädigt, der eigentlich nur für Flutopfer eingerichtet worden war.“
>>>> Hintergrund: 55 Strafverfahren, neun Strafbefehle
Die von der Stadt bisher eingeleiteten 55 Strafverfahren gegen Flutopfer-Betrüger betreffen Kommunal- als auch Landesmittel. In neun Fällen gab es Strafbefehle, sagt Sprecherin Clara Treude. Nicht enthalten seien Fälle, die bereits vor Leistungsgewährung aufgefallen sind (falsche Wohnadressen, keine Nachweise, angebliche Schäden in der 3. Etage). Diese seien gar nicht erfasst worden.
Aus den Spenden, die der Stadt zugegangen sind, konnten in 4.363 Fällen Soforthilfen ausgezahlt werden, so Treude. Die Gesamtsumme betrug 1,58 Mio. Euro. Aus Landesmitteln konnten zusätzlich 1.350 Soforthilfen (2,7 Mio. Euro) gezahlt werden.