Haspe. In Handschellen wird der Angeklagte vor den Tatort in Hagen-Haspe geführt. Konnte seine Frau, die Schmiere stand, draußen die Hilferufe hören?

Wenn die Straße zum Gerichtssaal wird: „Ab jetzt ist fotografieren hier nicht mehr erlaubt“, erklärt der Mann im feinen taubenblauen Anzug auf dem Bürgersteig, „sonst muss ich die Kameras beschlagnahmen.“ So spricht Christian Potthast, Vorsitzender Richter am Landgericht, würdevoll drohend – und alle Umstehenden gehorchen.

Eine solche Szene hat’s an der Berliner Straße bisher noch nie gegeben: Nebenan fließt der Autoverkehr wie immer, eine kleine Gruppe Passanten schaut neugierig zu – denn nur knapp einen Meter weiter tagt die 6. Große Strafkammer. Ortstermin vor dem türkischen Juwelierladen „Diamant“, Ortstermin an einem furchtbaren Tatort.

Der Angeklagte wurde mit Handschellen an Händen und Füßen an den Tatort gebracht.
Der Angeklagte wurde mit Handschellen an Händen und Füßen an den Tatort gebracht. © Michael Kleinrensing

Am 28. Oktober vergangenen Jahres war hier der 57-jährige Schmuckhändler in seinem Geschäft brutal überfallen und dabei schwer verletzt worden. Der mutmaßliche Täter (35) ist derzeit wegen schweren Raubes angeklagt: Er soll mit dem Griff seiner Pistole mindestens 50-mal auf den Kopf des Juweliers eingehämmert haben. Eine riesige Blutlache auf dem Boden. Der Geschäftsmann hatte lebensgefährliche Kopfverletzungen und lag elf Tage im Koma.

Die Frau des Angeklagten (mit Kapuze) war ebenfalls beim Ortstermin dabei. Konnte sie die Hilferufe des überfallenen Juweliers vor dem Geschäft hören? das gilt es zu klären.
Die Frau des Angeklagten (mit Kapuze) war ebenfalls beim Ortstermin dabei. Konnte sie die Hilferufe des überfallenen Juweliers vor dem Geschäft hören? das gilt es zu klären. © Michael Kleinrensing

Bis heute leidet er körperlich und seelisch. Die mitangeklagte Ehefrau des mutmaßlichen Räubers (26) wartete damals während der 15-minütigen Attacke direkt im Eingangsbereich vor dem Geschäft. Sie hatte einen Kinderwagen mit einem Baby (drei Monate alt) dabei und soll dort Schmiere gestanden haben. Von der Tat hätte sie dennoch nichts mitbekommen und die lauten Hilferufe des Juweliers draußen nicht gehört.

Ortstermin am Tatort: Der Angeklagte (roter Pulli und mit Handschellen) soll am 28. Oktober vergangenen Jahres einen Juwelier in haspe brutal überfallen und ins Koma geprügelt haben.
Ortstermin am Tatort: Der Angeklagte (roter Pulli und mit Handschellen) soll am 28. Oktober vergangenen Jahres einen Juwelier in haspe brutal überfallen und ins Koma geprügelt haben. © WP | Michael Kleinrensing

Angeklagter in Handschellen

Und genau diese Angabe wollte das Gericht nun überprüfen – durch einen Schrei- und Hörtest am Tatort. Mit logistischem Aufwand: Der Hauptangeklagte wurde in Handschellen aus der U-Haft zum Tatort gebracht, zehn Polizeibeamte sicherten die Gerichtsverhandlung im Freien. Ob dabei am Ende eine Lügengeschichte zusammengebrochen ist?

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Was die Richter vor dem Juweliergeschäft hören konnten, oder auch nicht, wird erst beim Fortsetzungstermin am 16. Mai besprochen: Dann allerdings wieder im Gerichtssaal.

Das Opfer, der Juwelier, vor seiner Ladentheke. Elf Tage lag er nach der Attacke im Koma.
Das Opfer, der Juwelier, vor seiner Ladentheke. Elf Tage lag er nach der Attacke im Koma. © WP | Michael Kleinrensing