Emst. 56 Flüchtlinge aus der Ukraine werden seit Dienstag im Rahel-Varnhagen-Kolleg in Hagen unterrichtet. Darunter sind nur sechs Männer.

Auf den Schulbänken des Rahel-Varnhagen-Kollegs in Hagen nahmen am Dienstag Erwachsene Platz. 56 Flüchtlinge aus der Ukraine lernen in dem ehemaligen Abendgymnasium Deutsch, Mathematik und Englisch. „Wir verstehen das als Willkommensangebot, das wir in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft haben“, berichtet Kollegleiterin Christine Preuß nicht ohne Stolz.

Es sind die beiden wohl ungewöhnlichsten Schulklassen, die es zurzeit in Hagen gibt: Rentnerinnen sitzen hinter den Pulten, Ingenieurinnen, Mütter, die ihre Kinder mitgebracht haben. Sogar ein Baby ist darunter, Schulleiterin Preuß hat in aller Eile eine Wickeldecke organisiert, demnächst will eine andere Lehrerin einen Wickeltisch mitbringen.

Nur sechs der 56 erwachsenen Schüler sind Männer; die meisten Ukrainer dürfen die Heimat bekanntlich nicht verlassen und stehen an der Front, um ihr Land gegen die Russen zu verteidigen. „Vielleicht lenkt der Unterricht die Frauen auch ein bisschen von der ständigen Sorge um ihre Liebsten ab“, hofft die Schulleiterin.

Lehrerin spricht Russisch

Die Flüchtlinge zeigten sich von der Hilfsbereitschaft des Kollegiums, das Willkommensmappen mit einem Stundenplan und einem Glossar (Liste der wichtigsten deutschen Begriffe) erstellt hatte, überwältigt. Und wie eine Fügung des Schicksals mag ihnen erscheinen, dass mit Bogumila Kroll (65) am Varnhagen-Kolleg eine Lehrerin tätig ist, die perfekt Russisch spricht, eine dem Ukrainischen verwandte Sprache. „Ich stamme aus Polen, dort war Russisch Pflichtfach“, berichtete die Pädagogin, die den Ukrainern nun Deutsch beibringt: „Die Flüchtlinge haben ein hohes Bildungsniveau, 70 Prozent von ihnen sind Akademiker.“

Als erste Hagener Schule hatte im März das Hildegardis-Gymnasium eine Willkommensklasse für ukrainische Schüler eingerichtet. Inzwischen gebe es eine unbestimmte Anzahl an Schülern aus der Ukraine, welche auch von anderen Hagener Schulen aufgenommen worden seien, teilte Clara Treude, Sprecherin der Stadtverwaltung in Hagen, mit: „Viele Kinder und Jugendliche aus der Ukraine nehmen außerdem online am Schulunterricht ihres Herkunftslandes teil.“

Große Herausforderung

206 Schüler aus der Ukraine haben sich in Hagen bereits im städtischen Kommunalen Integrationszentrum registrieren lassen und stehen nun auf der Warteliste, das heißt, sie warten darauf, an eine Schule zugewiesen zu werden. Darunter sind 90 Grundschüler, 95 Jugendliche, für die eine weiterführende Schule in Frage kommt sowie 21 Berufsschüler. Weitere 129 Schüler warten derzeit noch auf einen Beratungstermin im Integrationszentrum.

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Aufgrund des ohnehin großen Anstiegs der Schülerzahlen in Hagen durch Einwanderer aus Südosteuropa stellt die Zuwanderung aus der Ukraine eine sehr große Herausforderung für die Stadt dar. Derzeit laufen Abstimmungen mit der Bezirksregierung, um mögliche Klassengrößen festzulegen und alternative­ Möglichkeiten der Beschulung zu eruieren.

Dass Schulen wie das Hildegardis-Gymnasium oder das Rahel-Varnhagen-Kolleg vorpreschen und Unterricht für Ukrainer in Eigenregie organisieren, ist der Stadtverwaltung angesichts des gewaltigen Andrangs nur recht.