Hohenlimburg/Duisburg. Bis 2045 will Thyssenkrupp seinen Stahl klimaneutral herstellen – und die Chefin von TK Hohenlimburg soll diesen Prozess managen. Ein Gespräch

Bis 2045 will Thyssenkrupp seinen Stahl komplett klimaneutral herstellen – und die Geschäftsführerin von TK Hohenlimburg soll diesen Prozess managen: Heike Denecke-Arnold wechselt in den Vorstand der Duisburger Konzernzentrale und wird ab Mai als „Chief Operating Officer“ das gesamte Feld der Eisen- und Stahlproduktion von Thyssenkrupp Steel Europe verantworten. Ein Gespräch über die „grüne Transformation“.

WP: Thyssenkrupp Steel Europe hat sie in den Vorstand berufen. Wie überraschend kam für Sie die Meldung des Mutterkonzerns?

Denecke-Arnold: Für mich war es total überraschend. Das Vorstandsteam in Duisburg harmoniert gut, ist jung und für mich eine gesetzte Größe. Ich war nicht davon ausgegangen, dass es zeitnah Veränderungen geben würde. Als dann die Frage kam, ob ich das machen möchte, habe ich mich sehr gefreut.

Die Aufgaben sind gewaltig: Bis spätestens 2045 soll bei Thyssenkrupp die gesamte Stahlproduktion klimaneutral laufen. Wo steht das Warmwalzwerk in Hohenlimburg in diesem Prozess?

Wir wollen bei thyssenkrupp Steel bis 2030 die CO2-Emissionen um 30 Prozent reduzieren und ab 2045 klimaneutral sein. Diesen Zielen der Muttergesellschaft schließt sich thyssenkrupp Hohenlimburg an. Stand heute sind es besonders die beiden Öfen des Warmwalzwerkes, die viel Erdgas brauchen, um die nötige Hitze zu erzeugen und entsprechend energieintensiv arbeiten. Dort entstehen die meisten CO2-Emissionen.

Wie wollen sie das ändern?

Wir haben ein Projekt gestartet, wie man das Brenngas der Öfen zukünftig mit Wasserstoff anreichern kann. Im Bereich der Weiterverarbeitung, an den Glühen, prüfen wir ebenfalls, wie man dort das Heizgas mit Wasserstoff anreichern kann. Im Frühsommer sind erste Versuche beim Haubenglühen geplant. Bei den Öfen haben wir eine Arbeitsgruppe aufgesetzt, die sich den Umbau auf Wasserstoff technisch anschaut und prüft.

Das klingt noch nach Experimentierkasten...

An den Glühhauben müssen wir üben, das müssen wir ausprobieren und schauen, wie sich das Material verhält. Denn die Wärmeverteilung wird anders sein, weil das Gas anders brennt als Erdgas und das muss man ausprobieren. Das hat tatsächlich ein bisschen experimentellen Charakter, aber wir wollen das tun und gehen es an. Denn das Erdgas für die Öfen soll immer mehr durch grünen Wasserstoff verdrängt werden. Langfristig wollen wir die Öfen komplett über grünen Wasserstoff versorgen.

Aktuell läuft die Versorgung aber noch über Erdgas. Wie soll grüner Wasserstoff ins Werk kommen?

Wir haben ausgerechnet, dass wir allein bei einer Wasserstoff-Beimischung von 60 Prozent täglich rund 150 Lastwagen mit Wasserstoff bräuchten. Für 100 Prozent Wasserstoff bräuchte man entsprechend noch viel mehr. Die Anlieferung von Wasserstoff über Tankwagen ist daher für uns keine Lösung. Stattdessen müssen wir langfristig die bestehenden Leitungen für Erdgas nutzen, um darüber Wasserstoff in das Werk zu leiten. Zurzeit erstellen wir eine Studie, wie „wasserstofftauglich“ die Infrastruktur des Werkes ist, sprich Rohrleitung, Pumpen, Ventile. Zudem beteiligen wir uns an einer Abfrage des Fernnetzbetreibers Open Grid Europe, um auf unsere zukünftige Wasserstoffbedarfe aufmerksam zu machen.

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Wie ist der Zeitplan für den Weg hin zur „grünen Transformation“ bei der Mittelbandstraße in Hohenlimburg?

Wir wollen Ende 2022 die ersten Investitionsmaßnahmen beginnen, um die Öfen energiesparender umbauen. Das heißt nicht, dass wir bis dahin schon Wasserstoff haben. Aber den Umbau hin zur Energieeffizienz gehen wir jetzt schon an und bereiten gleichzeitig die Anlagen so vor, dass man auch Wasserstoff einsetzen könnte. Die Umbauzeit wird sich bis 2024 hinziehen.

Wie sollen die immensen Investitionen, die für diesen Umbau nötig sind, finanziell gestemmt werden?

Die Herausforderung ist groß. Allein für das Werk in Duisburg werden die Kosten für neue Anlagen auf sieben Milliarden Euro beziffert – und damit sind die nötigen Investitionen in die weiteren Standorte für den Umbau hin zur grünen Transformation noch nicht eingerechnet. Einen Teil der Investitionen trägt das Unternehmen von sich heraus, aber komplett kann dies nicht gestemmt werden. Wir bemühen uns daher auch um Fördermittel, damit die grüne Transformation gelingen kann.

Es braucht also neben dem laufenden Betrieb hohe Investitionen in die Herzkammer der Produktion. Da müssen ihnen die steigenden Energiepreise doch Bauchschmerzen bereiten, oder?

Das hat schon gravierende Auswirkungen, aber es ist so wie es ist.

Dennoch müssen sie zeitgleich in die Zukunft investieren...

Das kommt dazu. Es ist schon eine enorme Belastung. Aber der Weg ist richtig, davon sind wir alle überzeugt und da gibt es kein Zaudern. Weitermachen wie bisher hört sich charmant an, ist aber schädlich für das Klima. Und das will auch keiner mehr, auch unsere Kunden nicht. Der Wille ist da, CO2-reduzierte Produkte zu bekommen und einzusetzen. Da rollt gerade eine Lawine los, die nach meinem Empfinden auch nicht mehr aufzuhalten ist – und das ist gut so, finde ich. Wenn man diesen Weg gemeinsam geht, dann schafft man es auch.

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Wenn es darum geht, den Energiebedarf im Produktionsprozess künftig zu reduzieren, setzten die Papiermacher von „Pulp and Paper“ auf Erdwärme und leisten hierzu in Hagen Pionierarbeit. Ist Geothermie auch für die Produktionsprozesse von TK Hohenlimburg interessant?

Es ist für unsere Prozesse nicht einsetzbar. Die Temperaturen, die wir in den Öfen brauchen, kriegt man mit Erdwärme nicht hin. Da müsste man sehr tief bohren, um solche Temperaturen zu bekommen. Zudem erzeugen wir durch unsere Prozesse Dampf und nutzen diesen selbst zum Heizen. Bedarf für Erdwärme haben wir nicht.

Dann eher Photovoltaik-Anlagen auf das Dach des Werkes in Hohenlimburg, um Energie einzusparen?

Wir haben es mehrfach geprüft, aber wegen der Tallage des Werkes in Hohenlimburg bekommen wir kaum Sonne. Deswegen ist Solarenergie schwierig. Dazu kommt, dass viele Hallendächer auch Lichtleisten haben, damit die Mitarbeiter auch unter Tageslicht arbeiten können. Solarpanele würden diese Möglichkeit nehmen.

Ein Thema im Stadtgebiet sind die fehlenden Gewerbeflächen. Die Produktion in Oege hat wenig Platz zum Expandieren. Sind da Erweiterungen geplant?

Eine Expansion wäre nötig, aber das schaffen wir an dem Standort nicht. Wir sind räumlich limitiert und das lässt sich nicht ändern. Wir haben vor zwei Jahren eine neue Lagerhalle im Werk in Betrieb genommen. Wir reißen ältere Hallen sukzessive ab und ersetzen sie durch neue. Wir wollen die Infrastruktur im Werk verbessern und so Platz schaffen.

Kaum Platz zum Expandieren: Das Warmwalzwerk von Thyssenkrupp Steel liegt im Osten Hohenlimburgs in Oege zwischen Lenne und Bahngleisen (im Bild oben rechts).
Kaum Platz zum Expandieren: Das Warmwalzwerk von Thyssenkrupp Steel liegt im Osten Hohenlimburgs in Oege zwischen Lenne und Bahngleisen (im Bild oben rechts). © Hans Blossey

Also das Werk optimieren, statt zu expandieren…

Ziel ist, das Material im Werk zu halten. Woanders lagern kostet immer Zeit, das geht zulasten der Durchlaufzeit und ist für Kunden nicht gut, die unser Material gerne so schnell wie möglich hätten. Eine Expansion wäre nur im Bereich Lagerfläche denkbar, aber aufgrund unseres Geschäftsmodells brauchen wir nicht so viel Lager im Werk. Wir leben aus hohem Brammenbestand, der zum Großteil in Duisburg liegt.

Enge Bebauung, wenig Platz, kaum Sonne – unterm Strich ist die Lage für das Werk von Thyssenkrupp in Hohenlimburg nicht ideal, oder?

Ich würde sie als perfekt bezeichnen, weil wir direkt an unseren Kunden sind. Ja, wir haben Begrenzungen der Infrastruktur, aber das ist in Ordnung. Ich finde die kurzen Wege zu den Kunden wichtiger, alles andere müssen wir managen.

Das heißt, Rückbau oder gar Umzug sind kein Thema?

Nein, im Gegenteil: Thyssenkrupp Hohenlimburg ist weiter fester Bestandteil der Strategie von Thyssenkrupp Steel und wird nicht infrage gestellt.

Blicken wir 20 Jahre weiter: Wie hat sich die Infrastruktur von Thyssenkrupp Steel geändert?

Auf Duisburg geblickt: Wo früher Hochöfen standen, werden dann Direktreduktionsanlagen stehen. In Hohenlimburg wird durch die Leitungen kein Erdgas mehr fließen, sondern Wasserstoff. Optisch bleibt aber mehr oder weniger alles gleich.

Wegen aktuell rückläufiger Stahl-Nachfrage schickt Thyssenkrupp Steel Europe 1300 seiner Mitarbeiter in der Stahlproduktion in Kurzarbeit. Welche Standorte sind betroffen und wie viele Mitarbeiter in Hohenlimburg sind betroffen?

In Hohenlimburg haben wir keine Kurzarbeit geplant. Dies geschieht nur dort, wo wir temporär, aufgrund der Folgen des Krieges in der Ukraine, weniger Arbeit haben. In Summe sind bei thyssenkrupp Steel im April von 26.000 Mitarbeitenden rund 1.300 in Kurzarbeit.

Promovierte Ingenieurin

Heike Denecke-Arnold ist promovierte Ingenieurin und war 1999 als Trainee die erste Frau an den Hochöfen von Thyssenkrupp in Duisburg. Seitdem ist sie in verschiedenen Funktionen für die Stahlkocher tätig.

Im Oktober 2016 kam sie nach Hohenlimburg und wurde Vorsitzende der Geschäftsführung von Thyssenkrupp Steel Hohenlimburg.

Das Warmwalzwerk in Hohenlimburg läuft als eigenständige Einheit unter dem Dach von Thyssenkrupp. Rund 1000 Mitarbeiter sind in dem Werk an der Oeger Straße beschäftigt.