Hagen. Eine Ukrainerin spricht über das Leid des Krieges, das bis nach Hagen schwappt. Anastassiia Peters bangt um ihre Familie in Odessa.

Als Anastassiia Peters (geborene Shvets) zu erzählen beginnt, läuft aus den Boxen der Café & Bar Celona „Imagine“ von John Lennon. „Imagine all the people. Livin’ life in peace“ – stell dir vor , die Menschen leben ihr Leben in Frieden.“ Die 28-Jährige kommt aus Odessa am Schwarzen Meer, aus der Südukraine und bangt mit ihrer dort lebenden Familie. Immer wieder schaut sie auf ihr Smartphone. Sie zeigt ein Bild ihres erst 20-jährigen Cousins, der gerade noch ein großer Junge war und jetzt eine Kalaschnikow im Art hält. „Als ich letzten Donnerstag aufgestanden bin, war die Welt eine andere“, sagt sie voller Traurigkeit.

Das Leid schwappt bis nach Hagen

Das Leid, dass der russische Angriff auf die Ukraine und ihr 44-Millionen-Menschen-Volk bringt, schwappt bis nach Hagen, wo Ukrainer leben und in Sorge und Panik sind. So auch Anastassiia Peters, die der Liebe zu ihrem Mann Christian wegen vor einigen Jahren nach Hagen gezogen ist.

Ihre Mutter versteckt sich augenblicklich im Dorf der Großeltern. Ihre Schwester, die mittlerweile in Italien lebt, war vergangene Woche wegen einer Grundstücksangelegenheit in die Ukraine gereist und unglücklicherweise in die unsichere Situation geraten. Ihr Onkel arbeitet im nicht weit entfernten Mykolajiw in einer Amoniak-Fabrik und steht als Chemiker aktuell mit einem Sturmgewehr bei der Arbeit. Ihre beste Freundin, eine Russin, leidet in Odessa.

Ein von Anastassiia Peters gemaltes Bild wie ein Symbol: Die Farben von Belarus, der Ukraine und Russland in einem Herz vereint.
Ein von Anastassiia Peters gemaltes Bild wie ein Symbol: Die Farben von Belarus, der Ukraine und Russland in einem Herz vereint. © Michael Kleinrensing

Deutschland gilt als Beispiel

Der 28-jährigen gelernten Buchhalterin schießen Tränen in die Augen. Die Heimat, die Familie, die Ungewissheit, vor allem aber das Unverständnis über einen Angriff eines Volkes auf das andere. Völker, die sich doch eigentlich als Brüder verstanden – es zerreißt die junge Ukrainerin innerlich. „Ich wünschte mir, dass wir ein politisches System wie in Deutschland hätten. Freiheit, Demokratie, dieses Land hat das verstanden.“

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Anastassia Peters sagt, dass Deutschland seine Lehren aus dem Grauen einer Diktatur gezogen habe. Es könne Beispiel sein. Und das, obwohl viele ältere, noch lebende Ukrainer bis heute nicht vergessen haben, wie ihr aufstrebendes Volk im Zweiten Weltkrieg unter der deutschen Besatzungsmacht gelitten hat. In der Jugend der Völker – und Anastassia Peters steht symbolisch dafür – sind Versöhnung und Zukunftsgewandheit längst überragende Themen. „Und dann wird man von Russland überfallen. Von Menschen, die die gleiche Sprache sprechen wie wir“, sagt sie.

Bleiben ist sicherer als die Flucht

Seit Donnerstag glühen alle sozialen Kanäle bei der 28-Jährigen. Sie kommuniziert mit ihren Großeltern, die in einem Dorf vor Odessa zurückgeblieben sind. Dort zu bleiben, erscheint aktuell sicherer als eine Flucht nach Deutschland.

Menschen wie ihre Großeltern erleben Krieg dieses Ausmaßes ein zweites Mal in ihrem Leben. Und das, obwohl die Freiheit in einem unabhängigen ukrainischen Staat doch manifestiert schien. „Ich spüre, dass die Situation viele Ukrainer mehr auf die Seite der EU schlägt“, sagt sie. Nicht zu Russland und nicht zur EU zu gehören, das war eigentlich ein Status quo, den auch sie zuvor gern erhalten hätte. Frieden? Daran glaubt sie noch nicht. Die Hoffnung, dass die erbittert Widerstand leistenden Ukrainer durchhalten und das russische Volk gegen Putin aufbegehrt bestimmen ihre nächsten Tage.