Hagen. Die Anwohner der Hüttenbergstraße in Hagen sollen 54 Jahre nach dem Einzug in ihre Häuser 700.000 Euro Erschließungskosten zahlen.

Im Streit um Erschließungsbeiträge in Höhe von fast 700.000 Euro dürfen die Anwohner der Hüttenbergstraße in Hagen Hoffnung schöpfen. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Erschließungsbeiträge zeitlich nicht unbegrenzt erhoben werden dürfen. Nach dem Bau einer Straße dürften Grundstückseigentümer nur für eine begrenzte Zeit an den Kosten beteiligt werden, urteilten die Richter.

Die Ersterschließung der 280 Meter langen Hüttenbergstraße in Eilpe liegt bereits 54 Jahre zurück. Länger als ein halbes Jahrhundert hat sich die Stadtverwaltung Hagen Zeit gelassen, um die Straße „erstmalig endgültig herzustellen“, wie es im Bürokratendeutsch heißt.

Durchschnittlich 23.000 Euro pro Anwohner

Die meisten Anwohner hatten längst vergessen, dass die Erschließung ihrer Straße Ende der 60er-Jahre nicht offiziell abgeschlossen worden war. Als die Stadt vor zwei Jahren ankündigte, die marode Fahrbahn zu sanieren und in dem Zuge die Ersterschließung abzurechnen, fiel so mancher Anlieger aus allen Wolken.

Durchschnittlich 23.000 Euro fordert die Stadt Hagen von jedem der 30 Grundstücksbesitzer, der eine Fläche an dem betreffenden Straßenabschnitt zwischen den Abzweigungen Am Weitblick und Krähnockenstraße sein Eigen nennt. Je nach Grundstücksgröße ist die Summe bedeutend höher, eine allein wohnende Dame zum Beispiel soll mit knapp 45.000 Euro zur Kasse gebeten werden.

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Dass die Hüttenbergstraße saniert werden muss, bestreiten die Anwohner nicht. Und einige sind auch bereit, die von der Stadt geforderte Summe ohne weitere Umstände zu bezahlen. Andere dagegen wollen gegen den zu erwartenden Gebührenbescheid vorgehen: „Wir haben uns bereits abgestimmt und anwaltlichen Kontakt aufgenommen“, so Stephan Blankenagel.

Verstoß gegen Prinzip der Rechtsstaatlichkeit

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes dürfte den Grundstückseigentümern aus der Hüttenbergstraße sehr willkommen sein. Vor dem Ersten Senat ging es konkret allerdings um einen Fall aus Rheinland-Pfalz. Ein Eigentümer sollte Erschließungsbeiträge in Höhe von mehr als 70.000 Euro zahlen, obwohl seine Grundstücke schon 1986 an die Straße angebunden worden waren. Dem Verkehr offiziell gewidmet wurde die Straße aber erst 2007, vier Jahre später erhielt der Mann den Gebührenbescheid.

Ein so langer Zeitraum verstoße gegen das im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerte Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, das davor schütze, dass lange zurückliegende Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können, so die Richter.

NRW-Landtag debattiert gesetzliche Neuregelung

Das Land Rheinland-Pfalz ist nun zu einer gesetzlichen Neuregelung verpflichtet, doch dürfte das Urteil erhebliche Auswirkungen auf die Rechtspraxis aller Bundesländer haben. In Nordrhein-Westfalen hat sich in der letzten Woche der Landtag mit kürzeren Verjährungen für das Eintreiben von Erschließungskosten beschäftigt. Die SPD fordert eine 20-jährige Frist, CDU und FDP 15 Jahre. „Es wird auf jeden Fall eine gesetzliche Regelung beschlossen werden“, so der Hagener Abgeordnete Wolfgang Jörg (SPD), der eine Beitragsabrechnung nach über 50 Jahren, wie sie in der Hüttenbergstraße vorgesehen ist, für unrechtmäßig hält.

Zwar haben die Richter in Karlsruhe keine konkrete Vorgabe für eine zeitliche Höchstgrenze gemacht. Ein Zeitraum von 50 Jahren ist nach dem Urteil vom 24. November aber ausgeschlossen.

Die Bauarbeiten zur Sanierung der Hüttenbergstraße sollen 2022 beginnen und rund acht Monate dauern. Nun bleibt abzuwarten, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die bevorstehende gesetzliche Regelung in Nordrhein-Westfalen die Kostenbeteiligung der Anwohner beeinflussen.