Hagen. Der barrierefreie Ausbau der Bushaltestellen kommt in Hagen – trotz 100-prozentiger Förderung – nur zäh voran. Die Politik drückt aufs Tempo.
Man stelle sich vor, es regnet Geld und keiner sammelt es ein: Genau, wir befinden uns in Hagen – diesmal geht es um Fördermittel für den flächendeckenden, barrierefreien Ausbau der Bushaltestellen. Weil die unter dem Dach des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) vereinten Städte hier nicht in die Puschen kommen, stockt das Mobilitätsbündnis jetzt – als zusätzlicher Anreiz – die Zuschusssumme auf 100 Prozent auf. Doch die Parteien des Rates befürchten, dass die Verwaltung diese verlockende Extra-Chance sich ungenutzt durch die Lappen gehen lässt. Das sogenannte „Drei-Jahres-Programm Bushaltestellen“, so wurde es jetzt dem VRR-Verwaltungsrat präsentiert, soll in den Jahren 2022 bis 2024 sprudeln. Für Hagen wäre dies besonders dringlich, da die Stadt sich im VRR-Ranking mit einer Ausbauquote von gerade einmal 16 Prozent am Tabellenende bewegt – lediglich in Solingen und Wuppertal sieht es noch trauriger aus. Ohnehin hat Hagen – so weist die VRR-Statistik aus (siehe Grafik) – in den vergangenen 13 Jahren nur unterdurchschnittlich von Zuwendungen des Verbandes, der alljährlich 80 Millionen Euro verteilt, profitiert.
„Durch die zurzeit aufgestockte VRR-Förderung gibt es die Haltestellen theoretisch zum Nulltarif“, erinnerte zuletzt CDU-Ratsherr Rainer Voigt im Ausschuss für Umwelt- und Mobilität ausdrücklich daran, dass die Stadt in den nächsten drei Jahren selbst den fünfprozentigen Eigenanteil nicht mehr stemmen müsse. Der Unionspolitiker räumt zwar ein, dass in der Verwaltung die Kapazitäten für Planung, Ausschreibung und Bau der Haltestellen limitiert seien. Dennoch solle die Stadt im kommenden Jahr versuchen, mehr als die angedachten 32 Haltepunkte (Obervogelsang, Wesselbach, Wiesenstraße, Hördenstraße, Oberhagen, Twittingstraße, Brüderstraße, Tondernstraße, Vollbrinkstraße, Vorhalle, Landgericht, Alleestraße und Bachstraße) umzubauen und bis 2024 die Taktung deutlich zu erhöhen.
Doch seitens der Verwaltung kam prompt das Signal, dass die Erwartungshaltung der Politik völlig unrealistisch sei. Zum einen läge zwischen Planung und Umsetzung ein Zeitraum von drei bis vier Jahren, zum anderen werde es aufgrund der erheblichen Hochwasser-Folgen und entsprechend dringlicher Aufgaben kaum gelingen, das für 2022 angedachte Umbauprogramm überhaupt anzugehen. Weitere Details will die Bauverwaltung der Politik noch präsentieren.
„Diese Aussagen brauchen wir vor den Haushaltsberatungen“, machte Grünen-Vertreter Jürgen Sporbeck ebenfalls Druck, die notwendigen Fakten dann auch tatsächlich zu liefern. Dietmar Thieser (SPD) schrieb der Verwaltung zudem ins Stammbuch, angesichts der immensen Auslastung des Wirtschaftsbetriebes Hagen (WBH) die Aufträge doch extern zu vergeben, um der gesetzlichen Verpflichtung zum barrierefreien Ausbau endlich nachzukommen.
Traurige Umsetzungsquote
Laut VRR-Statistik sind in Hagen bislang erst 151 von 972 Haltepunkten (eine Haltestelle kann aus mehreren Haltepunkten bestehen) barrierefrei ausgebaut, was einer Quote von 16 Prozent entspricht. Im Hagener Rathaus spricht man hingegen von 241 umgebauten Haltepunkten und kommt auf eine Quote von immerhin 25 Prozent. Glorreich ist beides nicht, zumal andere Städte (Oberhausen 94 %, Bottrop 59 %, Düsseldorf 53 %, Bochum 49 %, Gelsenkirchen 49 %, Mülheim 46 %, Duisburg 42 %, Herne 40 %) hier deutlich weiter sind.
Was der Gesetzgeber will
Das Personenförderungsgesetz (§ 8, Abs. 3) sieht ausdrücklich vor, dass die Belange von Menschen, die in ihrer Mobilität oder sensorisch (Hör- und Sehgeschädigte) eingeschränkt sind, bei den ÖPNV-Verkehrsleistungen so berücksichtigt werden, dass bis zum 1. Januar 2022 die vollständige Barrierefreiheit erreicht wird. Diese Frist ist den Kommunen seit der Gesetzesnovellierung im Jahr 2013 bekannt.Allerdings hat der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) in seiner jüngsten Erhebung, die dem Verwaltungsrat im September vorgelegt wurde, festgestellt, dass trotz der ablaufenden Frist die Städte im Schnitt nicht einmal ein Drittel der Haltestellen entsprechend umgestaltet haben.Entsprechend wurden den Kommunen die Möglichkeit eingeräumt, im Rahmen der Nahverkehrspläne eine Umbauplanung über das Jahr 2022 hinaus darzulegen.Die Stadt Hagen hat daraufhin einen Kriterienkatalog zur Priorisierung des Haltestellenumbaus entwickelt. Im Wesentlichen werden die Haltestellen nach der jeweiligen Fahrgastnachfrage und Netzbedeutung kategorisiert.Zu einem barrierefreien Umbau zählt, dass die Bordsteine im Eingangsbereich der Busse 16 Zentimeter hoch sein müssen, damit Rollstuhlfahrer problemlos einsteigen können. Im weiteren Haltestellenverlauf muss der Bordstein auf Fahrbahnniveau abgesenkt werden, damit Gehbehinderte mit ihrem Gefährt nach der ÖPNV-Nutzung mühelos die Straße überqueren können.Zudem müssen sogenannte taktile Elemente in den Boden eingelassen werden. Darunter versteht man Leitstreifen und Rillenplatten, die Blinde per Taststab erkennen und somit merken, wohin der Weg führt, wo ein Bus exakt hält und wo man besser stoppen sollte. Ein Noppenfeld signalisiert beispielsweise die Position der sich öffnenden Fahrertür.
Bei der Priorisierung hat man in Hagen derweil entschieden, Haltestellen von geringer Bedeutung und mit nur wenigen Fahrgästen – in Summe 223 Haltepunkte – zunächst einmal komplett hinten anzustellen und somit die gesetzlich gebotene 100-Prozent-Quote gar nicht erst anzustreben. Damit liegt der weitere Fokus lediglich auf etwa 500 Haltepunkten, die in den nächsten Jahren noch auszubauen sind. „Grundsätzlich ist es geplant, 30 Haltepunkte pro Jahr zu planen, eine Förderung anzumelden und auch auszubauen“, beschreibt Stadt-Sprecherin Clara Treude das weitere Vorgehen. Das würde bedeuten, dass das Projekt die Verwaltung bis weit in die 2030er-Jahre noch beschäftigen dürfte – also vermutlich bis kurz vor Einführung der ÖPNV-Flugtaxis.