Hohenlimburg. Die Amerikanerin Gail Stern besucht Stolpersteine in Hohenlimburg, die an das Schicksal ihrer Familie während der NS-Diktatur erinnern
Während der Linienbus die Wesselbach hinauf rauscht, legt Gail Stern am Bürgersteig daneben eine kleine Sonnenblume nieder. Mitten auf die bronzenen Stolpersteine, die die Namen ihres Vaters, ihrer Großeltern und ihrer Tante tragen.
Vierter Besuch in Hohenlimburg
„Es fühlt sich gut an, sie wissen zu lassen, dass sie nicht vergessen sind. Dass sich jemand an sie erinnert“, sagt Stern. Kleine Gesten, für die sie einen weiten Weg auf sich nimmt. Stern lebt in Baltimore in Maryland, USA, rund 6300 Kilometer Luftlinie von Hohenlimburg entfernt. Ihr Vater Rolf Stern wuchs in der Wesselbachstraße 4 auf und flüchtete während der Nazi-Diktatur als 15-Jähriger mit einem Kindertransport in die USA. Seinen Eltern und seiner Schwester gelang die Flucht nicht. Sie wurden 1942 nach Minsk deportiert und ermordet. Rolf Stern war der einzige seiner Familie, der den Holocaust überlebt hat.
„Wir haben keinen Friedhof, der an sie erinnert. Das ist das Ähnlichste, was wir haben“, sagt Gail Stern. Für die Amerikanerin ist es der vierte Besuch in Hohenlimburg.
Stolpersteine vor sieben Jahren verlegt
Beim ersten Mal gab es an der Wesselbachstraße noch keinen Stolperstein, der an das Schicksal der Familie Stern erinnerte. Vor sieben Jahren dann verlegte der Künstler Gunter Demnig die fünf Stolpersteine, die für Gail Stern und ihre Familie bis heute ein wichtiger Anlaufpunkt sind. Als die Starkregen-Flut über Hohenlimburg hereinbrach, fragten sie, ob auch die Stolpersteine weggerissen wurden.
Als sie am Montag vor den Steinen standen, sprachen sie das Kaddisch, das jüdische Totengebet. Es ist für sie ähnlich wie der Besuch auf einem Friedhof.
Reise nach Weissrussland
Vor sieben Jahren fuhr Gail Stern deshalb auch nach Maly Trostinec, nahe Minsk, in Weißrussland. Auf der Waldlichtung Blagowtschina wurden ihre Großeltern und Tante 1942 ermordet. An einen Baum hängte sie einen Zettel mit einem Foto, welches die drei Familienmitglieder zeigt. „Ich will sagen: Ihr seid nicht vergessen. Wir erinnern uns an euch.“
Praktizierende Juden
Zu ihren vierten Besuch in Hohenlimburg brachte Gail Stern diesmal ihre Schwägerin Sheri Stein, deren Sohn Ryan sowie zwei Freunde der Familie mit. Sie alle sind praktizierende Juden, leben ihren Glauben in einer liberalen Gemeinde in Baltimore.
Als sie hören, dass vor knapp drei Wochen ein Anschlag auf die Synagoge in Hagen vereitelt werden konnte, sind sie irgendwo zwischen erschüttert und ernüchtert. „Wir haben dasselbe in den USA und wir hatten Trump“, sagt Gail Stern. „Es geht weiter, egal ob Juden, Muslime oder andere Gruppen. Es geht weiter bis heute – und wir haben nichts gelernt.“
Hoffnung mache ihr die Arbeit von „guten Menschen“, wie der Initiative Stolpersteine. Menschen, die die Erinnerung wach halten.