Hagen. Bei der Wahlarena 2021 stellen sich die sechs Bundestagskandidaten für Hagen den Fragen zu den drängendsten Themenfeldern. Hier die Antworten:

Selten war in den vergangenen Jahren das Rennen um die Bundestags-Direktkandidatur in Hagen so spannend wie in diesem Jahr. Wird es der CDU gelingen, nach dem Aus für René Röspel mit dem Medienmanager Christian Nienhaus (61) einen angestammten Erbhof der SPD für sich zu erobern? Kann Timo Schisanowski (40) nach seinem denkbar knappen parteiinternen Sieg gegen den bisherigen Berlin-Mandatsträger auch die Wählerschaft für sich gewinnen? Oder wird gar der eloquente Grüne Janosch Dahmen (40/MdB) für eine Überraschung sorgen? Der Mediziner aus Berlin scheint sich offenbar ebenso wie die FDP-Kandidatin und Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr (35) aufgrund eines attraktiven Landeslistenplatzes ohnehin erneut auf einem sicheren Weg in die Hauptstadt zu befinden. Ingo Hentschel (58/Linke) und Andreas Geitz (57/AfD) runden das Feld der Bewerber der im Bundestag bereits vertretenen Partei ab. Allerdings dürften diesem Duo vom linken und rechten politischen Rand selbst bei größtem Wohlwollen nicht einmal Außenseiterchancen auf das Direktmandat im Wahlkreis 138 eingeräumt werden.

Video steht im Netz

Mit der Erststimme haben 127.834 Hagener am 26. September die Möglichkeit, über den heimischen Direktkandidaten für den Bundestag zu entscheiden.

Die komplette Video-Aufzeichnung der Wahlarena könnten Interessenten im Netz unter www.wp.de/wahlarena2021 nachverfolgen.

Die Hagener hatten im Rahmen der von SIHK, Märkischem Arbeitgeberverband und Stadtredaktion veranstalteten Wahlarena am Freitagabend (wir berichteten) die Chance, sich persönlich ein Bild von den Protagonisten und ihren Überzeugungen zu machen. Wer die kurzweilige Runde im Internet unter www.wp.de/wahlarena2021 nicht noch einmal selbst nachverfolgen möchte, kann hier die wesentlichen Aussagen zu den zentralen Themenfeldern gebündelt nachlesen:

Einklang zwischen Klimaschutz und internationaler Wettbewerbsfähigkeit

Andreas Geitz (AfD)
Andreas Geitz (AfD) © WP | Michael Kleinrensing

Geitz: „Wir müssen uns erst einmal eingestehen, dass wir wahrscheinlich das Klima nicht retten können, aber gleichwohl unsere Umwelt und Natur schützen müssen. Das muss einher gehen mit wirtschaftlichen und ökonomischen Maßnahmen, die für alle auch tragbar sind. Es darf am Ende nicht passieren, dass der Endverbraucher sich Produkte nicht mehr leisten kann.“

Helling-Plahr: „Die Bekämpfung des Klimawandels kann nur im Einklang mit der Wirtschaft und Innovationen funktionieren. Wir setzen deswegen auf eine Ausweitung des Emissionshandels und einen fest definierten CO2-Deckel, der jährlich absinkt, so dass Anreize für neue Technologien entstehen.“

Hentschel: „Den Klimawandel kann keiner mehr leugnen – definitiv. Ich sehe in dem Thema keinen Widerspruch: Der Klimawandel kann für die Industrie eine große Chance sein, auch für den Arbeitsmarkt.“

Nienhaus: „Wir brauchen Emissionshandel mit internationalen Abkommen, um Arbeitsplätze in Deutschland und in Hagen zu halten. Dazu müssen in der EU überall die gleichen Spielregeln gelten, sonst sind die Arbeitsplätze weg und dem Klima ist auch nicht geholfen, wenn das CO2 dann in einem anderen Land in die Luft geht.“

Schisanowski: „Natürlich stehen wir zu dem großen Ziel Klimaneutralität bis 2045. Das ist zum einen eine Verpflichtung, aber auch zugleich eine Chance, die wir alle in der Region anpacken sollten. Da plädieren wir für eine Dreiklang: Wirtschaft zukunftsgerecht aufstellen – und zwar sozial gerecht, wirtschaftlich vernünftig und natürlich ökologisch nachhaltig.“

Dahmen: „Klimaschutz und Wirtschaftskraft liegen uns gleichermaßen am Herzen. Wenn wir uns um Klimawandel nicht kümmern, wird es keine Industrieproduktion mehr geben – das haben uns die Erfahrungen der vergangenen Wochen schmerzlich gezeigt. Hier müssen wir nicht irgendwann, sondern jetzt mit der Industrie Seite an Seite konkret die Dinge umsetzen, damit wir beispielsweise Weltmeister in CO2-neutraler Stahlproduktion werden.“

Verpflichtung des Bundes gegenüber überschuldeten Kommunen wie Hagen

Katrin Helling-Plahr (FDP)
Katrin Helling-Plahr (FDP) © WP | Michael Kleinrensing

Helling-Plahr: „Wer Abgeordnete aus Hagen ist, muss auch Lobbyist für die Region sein und in Berlin für einen Altschuldenfonds eintreten – das tue ich auch ganz persönlich.“

Hentschel: „Der Bund muss künftig wesentlich mehr für Hagen tun als in der Vergangenheit. Ohne Altschuldenfonds kommen wir angesichts eines Schuldenbergs von 1,3 Milliarden Euro aus dieser Situation nicht mehr heraus. Entstanden ist dies vorzugsweise durch die Nicht-Einhaltung des Konnexitätsprinzips.“

Nienhaus: „In Anbetracht der Finanzmittel, die wird für die Schulden in Griechenland und Italien aufbringen, muss den hoch verschuldeten Kommunen im Ruhrgebiet auch geholfen werden, zumal ja auch im Rahmen der Aufbau-Ost-Hilfe reichlich Mittel aus Hagen in florierende Gemeinden wie Dresden oder Leipzig geflossen sind. Konnexität ist dabei ganz wichtig. Ich bin zudem persönlich der Meinung, dass die Gemeindefinanzierung auf eine neue Basis gestellt und die Einkommenssteuer mit einbezogen wird.“

Schisanowski: „Wir plädieren nachdrücklich für einen Altschuldenfonds. Denn wir bezahlen in Hagen immense Zinsen an die Banken. Es wäre natürlich deutlich besser, wenn wir dieses Geld für Zukunftsinvestitionen nutzen könnten.“

Dahmen: „Vor dem Hintergrund von Corona- und Hochwasserkrise muss jetzt zunächst ganz konkret geholfen werden, auch um eine Pleitewelle zu verhindern. Darüber hinaus braucht es einen Schuldenschnitt für die Kommunen, damit Handlungsfähigkeit wieder hergestellt wird.“

Geitz: „Realistisch betrachtet geht an einem Schuldenschnitt für Hagen kein Weg mehr vorbei. Dieser ist zu realisieren, indem man die Milliarden, die jedes Jahr nach Brüssel fließen, begrenzt.“

Herstellung von Chancengleichheit unabhängig von Herkunft und Wohnort

Christian Nienhaus (CDU)
Christian Nienhaus (CDU) © WP | Michael Kleinrensing

Nienhaus: „Der Distanzunterricht während der Pandemie hat die sozialen Unterschiede vergrößert. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass Unterricht wieder in den Klassenräumen stattfindet. Außerdem brauchen wir eine digitale Lernplattform, damit bundesweit alle Schulen auch einen bessern Distanzunterricht haben mit einer besseren Ausstattung.“

Schisanowski: „Wir brauchen gleiche Zukunftschancen für alle – gerade für unsere Jüngsten. Aber wir müssen mit Blick auf Hagen auch ebenso darauf achten, dass hier die gleichen Lebensverhältnisse herrschen wie in anderen Kommunen. Angesichts des Schuldenstandes können wir viele familienpolitische Leistungen, die ja zu den freiwilligen Leistungen zählen, nicht so bereitstellen. Zudem plädieren wir für die Einführung einer Kindergrundsicherung.“

Dahmen: „Wir müssen Armut in Familien, vor allem bei Kindern, die in Hagen an manchen Stellen besonders ausgeprägt ist, dringend bekämpfen. An dieser Stelle wird auch über Zukunft entschieden und darüber, wie unser Land aufgestellt ist. Parallel brauchen wir ein massives Investitionsprogramm im Bildungsbereich.“

Geitz: „Um Chancengleichheit herzustellen ist es vor allem wichtig, die Kinder und Eltern zu erreichen, die nur schwer zu erreichen sind, die also einen anderen kulturellen oder religiösen Hintergrund haben. Da muss der Fokus sich drauf richten.“

Helling-Plahr: „Die Pandemie hat vielen Kindern die Chancengleichheit genommen. Wir wollen daher bundesweit ein Programm der Lern-Buddys ausrollen, um Rückstände aufzuholen. Außerdem wollen wir ein Prozent der Mehrwertsteuereinnahmen mehr in Bildung investieren. Das würde uns unter die Top-Vier der OECD-Staaten katapultieren.“

Hentschel: „Das Wichtigste ist Bildung, Bildung, Bildung. Daher ist es umso elementarer, dass die Schulpflicht, gerade bei den Kindern aus Osteuropa, auch durchgesetzt wird. Dazu gehört aber auch, dass das Handwerk jenes Potenzial an Schulabgängern nutzt, die ohne Abschluss dastehen.“

Zukunft der EU – brauchen wir mehr Europa?

Timo Schisanowski (SPD)
Timo Schisanowski (SPD) © WP | Michael Kleinrensing

Schisanowski: „Die Frage ist nicht, ob Europa, sondern es geht um das Wie. Wir müssen für ein soziales Europa werben. Mit Blick auf den asiatischen Raum können wir nur so unsere Chancen in der globalen Wirtschaftswelt von morgen wahren. Nur so kann man sich gegen die Konkurrenz behaupten.“

Dahmen: „Als bekennender Europäer trete ich für einen stärkeren europäischen Kurs ein. In einer Welt, in der wir uns in einem Wettbewerb mit großen Industrienationen bewegen, führt kein Weg daran vorbei, dass wir in europäischer Solidarität in der Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik und Außenpolitik viel enger zusammenrücken. Da geht von Deutschland eine wichtige Signal- und Vorbildfunktion aus.“

Geitz: „Auch ich bin Europäer und auch die AfD besteht sicherlich aus Europäern, aber aus Europäern der Vaterländer. Durch Reglementierung wurde die Wirtschaft in Deutschland regelrecht vor die Wand gefahren. Immer mehr Gelder sind nach Brüssel geflossen ohne positive Resonanzen für Deutschland.“

Helling-Plahr: „Wir brauchen ein stärkeres Europa. Allerdings könnten manche Dinge besser vor Ort geregelt und die Menschen besser mitgekommen werden. Vor allem müssen wir in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik enger zusammenrücken.“

Hentschel: „Ich war früher ein Europa-Gegner, habe mich aber eines Besseren belehren lassen. Wären wir heute noch ein eigenständiges Land, würde die Stärke der D-Mark unsere Exporte blockieren.“

Nienhaus: „Für uns gilt das Prinzip der Subsidiarität: Die großen und wichtigen Dinge muss man in den großen Lebenskreisen regeln und das Kleine in den kleinen Lebenskreisen. Das heißt, wir brauchen mehr Europa bei der Sicherheitspolitik, bei der Außenpolitik und in Handelsfragen. Aber wir brauchen auch weniger Kleinklein, weniger Beamte in Brüssel, weniger Bürokratie und weniger Regelung von kulturellen Eigenheiten.“

Mehr Kompetenzen des Bundes in der Bildungspolitik

Janosch Dahmen (Grüne)
Janosch Dahmen (Grüne) © WP | Michael Kleinrensing

Geitz: „Der Bund sollte sich aus den Kultus-Angelegenheiten heraushalten, soweit das möglich ist. Das ist Ländersache. Gleichwohl sollte die Digitalisierung vom Bund begleitet werden, die Inhalte sollten bei den Ländern bleiben.“

Helling-Plahr: „Wir brauchen dringend einen zweiten Digitalpakt, bei dem es auch darum geht, in IT-Administration, Fortbildung und Software zu investieren. Denn hier liegt noch einiges im Argen. Mit Hardware allein sind die Probleme nicht gelöst. Darüber hinaus wünschen wir uns einen bundesweiten Rahmen für die Bildungspolitik, auch bundesweite Abschlussprüfungen, aber die Schulen sollen auch mehr selbst entscheiden können.“

Hentschel: „Ich wäre dafür, dass es im Großen und Ganzen so bleibt, wie es jetzt ist. Wir müssen allerdings die Fördermöglichkeiten durch den Bund erleichtern. Außerdem brauchen wir auch das Personal, das die Digitalisierung weiter vorantreibt, sowie spezifische Budgets für die einzelnen Schulen.“

Nienhaus: „In puncto Digitalisierung ist überall noch reichlich Luft nach oben. Bei der Finanzierung geht es aber nicht bloß um Endgeräte, sondern auch um Personal. Ansonsten sind wir beim Bildungsföderalismus in Deutschland an einem Punkt angekommen, wo man auch über neue Ideen nachdenken muss.“

Schisanowski: „In unserem Bildungssystem darf es mit Blick auf die Bildungsabschlüsse nicht länger darauf ankommen, in welchem Bundesland man seinen Abschluss gemacht hat. Die Welt wird immer globaler und mobiler, daher brauchen wir Lösungen, die dem auch gerecht werden. Daher tendiere ich zu mehr bundeseinheitlichen Regelungen.“

Dahmen: „Dass die Digitalisierung in Deutschland ein Problem ist, kennt jeder von uns. Wir müssen uns um diese Infrastruktur kümmern, da ist zuletzt viel zu wenig gemacht worden. Im Bildungswesen geht es auch nicht bloß darum, irgendwo einen Computer abzukippen, sondern auch um Wartung und digitale Kompetenzen. Hier müssen wir investieren – sowohl der Bund als auch die Länder.“

Besseres Fördermittel-Management für die hoch verschuldete Stadt Hagen

Ingo Hentschel (Linke)
Ingo Hentschel (Linke) © WP | Michael Kleinrensing

Helling-Plahr: „Hier ist die Kommune gefordert. Wir werden nicht gewählt, um Fördermittel irgendwo hinzuschanzen. Insgesamt muss man aber die Finanzierung unabhängiger von einzelnen Projektförderungen machen. Diese erfordern ungeheuer viel Bürokratie. Stattdessen sollten wir die Steuerstrukturen so schaffen, dass die Kommunen dauerhaft mehr Geld in der Tasche haben.“

Hentschel: „Fördermittelmanagement ist eine der größten Katastrophen der Stadt. Hagen widmet dem Thema gerade mal eine Halbtagskraft. Hierfür braucht man gut bezahlte Spezialisten, denn die bringen den Gemeinden das Geld auch wieder rein. Da lässt Hagen absolut Geld liegen.“

Nienhaus: „Mein Konzept wäre, zunächst einmal auf Bundesebene klar zu machen, welch eine wichtige Rolle beispielsweise die Hagener Wirtschaft im Bereich der Automobilzuliefererindustrie spielt. Gleichzeitig gilt es dafür zu werben, dass eine Wasserstoffleitung nicht bloß Duisburg, sondern auch das Lennetal erreicht. Und für das lokale Fördermittelmanagement haben wir einen sehr guten Oberbürgermeister.“

Schisanowski: „Es ist unstreitig so, dass wir beim Fördermittelmanagement von Ranking zu Ranking auf den letzten Plätzen landen. Das hat Hagen nicht verdient. Wir müssen uns auf kommunaler Ebene hier endlich professionalisieren. Durch meine NRW-Kontakte weiß ich, dass über Hagen hier inzwischen sogar gelacht wird. Bundespolitisch muss geguckt werden, dass finanzschwache Kommunen den Eigenmittelanteil nicht mehr leisten müssen.“

Dahmen: „Es gibt ein strukturelles Problem, dass Städte wie Hagen im Wettbewerb um Fördermittel nur selten eine Chance haben. Aber wir haben auch ein politisches Problem: Es ist schon erstaunlich, was zuletzt, beispielsweise über das CSU-Verkehrsministerium, alles in Bayern gefördert wurde. Diese wahlkreisgetriebene Ungerechtigkeit muss aufhören. Fairer Wettbewerb für alle und die Stärkung schwacher Kommunen ist ein politischer Auftrag für alle Parteien.“

Geitz: „Für uns gibt es nur zwei Hebel: einmal die Verschlankung von Berlin aus, um die Regularien zu vereinfachen. Zum anderen gilt es, die Kompetenz in der Stadt zu erhöhen, also Aufstockung der Stellen und Schulung der Leute.“