Eckesey. Hagens Automobilzulieferer können nicht liefern, weil die Flut Produktion und Material zerstört hat. Der Druck aus der Industrie ist gewaltig.
Ralph Brinkhaus, der Chef der Bundestagsfraktion der CDU und damit einer der einflussreichsten Politiker dieses Landes, hält kurz inne. Es duftet modrig, der Boden ist noch staubig. Vor seinen Augen schwebt der Gleisanschluss des Unternehmens H.D. Lenzen am Volmeufer in der Sedanstraße in Eckesey in der Luft. Das Betonfundament ist weggespült. Brinkhaus sortiert sich kurz und sagt: „Mir war nicht klar, wie systemrelevant Hagen für die deutsche Autoindustrie ist.“ Die mitunter wichtigsten Zulieferer der deutschen Autoindustrie kommen aus Hagen. Die Flut am 14. Juli hat ihre Hallen, Materialien und Lieferkraft zerstört. Der Schaden geht stadtweit in dreistellige Millionenhöhen.
Hagens Top-Zulieferer: Sie sollen der Industrie liefern, aber sie können es nicht
Ralph Brinkhaus war auf Einladung des Hagener CDU-Bundestagskandidaten Christian Nienhaus in die Sedanstraße gekommen. Ein Termin im Wahlkampf, klar. Aber mit Brinkhaus stand den Geschäftsführern der Firmen H.D. Lenzen, Honselmann und DM-Stahl auch ein Mann gegenüber, der jüngst noch über 24 Stunden mit den Mächtigen der Autoindustrie verhandelte. Jener Autoindustrie, die ihren über Jahrzehnte zuverlässigen und deutschlandweit konkurrenzlosen Zulieferern gerade mächtig Druck macht. Sie sollen liefern, aber sie können es flutbedingt nicht.
Ein kompletter Zug steht wie abgeklemmt auf dem Gleis an der Volme
Mannshoch standen die Stahlcoils in den Firmen unter Wasser. Die Volme riss Wände ein, beschädigte Maschinen. Bei H.D. Lenzen, das elektrolytisch verzinkten Präzisionsbandstahl fertigt, der in nahezu jedem Auto benötigt wird, beziffert Geschäftsführer Peter Plobst den Schaden bislang auf 20 Millionen Euro. Auch bei DM Stahl nebenan, so Geschäftsführer Marcus Fix, wird man nach Versicherungsleistungen auf einem siebenstelligen Betrag sitzen bleiben. Die Materialausfälle im Lager der Spedition Honselmann – alle drei Unternehmen arbeiten untereinander zusammen – sind enorm. Bei H.D. Lenzen und Honselmann steht ein kompletter Zug wie abgeklemmt in der Betriebshalle, die Schiene vor ihm unterhöhlt.
Fotostrecke: Mittelstand in Hagen schwer getroffen
Die Einzigartigkeit und Konkurrenzlosigkeit dieser „Hidden Champions“ aus Hagen war und ist ihr Pfund – und nun gleichzeitig das Problem. „Die Automobilindustrie übt gewaltigen Druck auf uns aus, dass wir liefern“, sagt Peter Plobst und spricht davon, dass man sich wie vergewaltigt fühle. Das trifft es. Die Unternehmen sind inhabergeführt, bilden als umsatzstarke Mittelständler auch das wirtschaftliche Rückgrat Hagens. Was die Lieferunfähigkeit bedeutet, müssen teure und große Anwaltskanzleien nun klären.
Komplizierte Genehmigungslage: Erneuerung muss nach neuen Maßstäben geschehen
Dazu kommen weitere Zusammenhänge, die die Firmenchefs Ralph Brinkhaus hinterließen. Nicht nur die Logistikkette muss irgendwie wieder anlaufen, auch die Genehmigungslage muss einfacher werden. „Wir sind ja auch mitten in der Transformation und passen uns den Veränderungen des Marktes an“, sagt Peter Plobst. Soll heißen: Es reiche nicht, die zerstörten Firmenteile einfach wieder wie zuvor (so gibt es die Genehmigungslage her) wieder aufzubauen. „Nein, wenn wir wieder aufbauen, bauen wir direkt neu auf nach innovativen Maßstäben.“
Und Ralph Brinkhaus brachte nach Besichtigung des Volmeufers in der Sedanstraße noch einen Gedanken auf: „Wir dürfen nicht nur darüber nachdenken, wie wir den Klimawandel aufhalten, sondern müssen auch seine aktuellen Konsequenzen beachten. Hochwasserschutz muss jetzt Priorität haben. Gerade bei Ihnen hier in Hagen.“
80 Prozent der Kaltbandversorgung der Automobilindustrie kommt aus Hagen
Geht es nach den Geschäftsführern von H.D. Lenzen, DM-Stahl und Honselmann, dann deckt Hagen 75 bis 80 Prozent der Kaltband-Versorgung der deutschen Autoindustrie ab. Manche Unternehmen in zweiter, dritter, andere in fünfter, sechster Reihe. „Sie alle stehen jetzt vor diesen Problemen, die wir hier haben: Lieferdruck“, sagt Peter Plobst, der es gerade als Qualitätsmerkmal ausmacht, dass es in seinem Unternehmen keine Fremdfirmen gebe. Alles werde aus einer Hand gefertigt. In sieben Wochen soll die Verzinkungsanlage wieder anlaufen. Vielleicht könne Anfang nächsten Jahres wieder geliefert werden.
„Was uns hier stark gemacht hat, ist die Nähe zur Bahn und zum Wasser“, sagt Marcus Fix. „Das Wasser hat die Unternehmen hier entstehen lassen.“ Genau dieses Wasser hat sie nun schwer geschädigt. Ralph Brinkhaus versprach, alle Hinweise mit in seine Gremien zu nehmen.