Eckesey. Als die Flut am 14. Juli eine Wand in Eckesey beschädigt, kommt ein 76 Jahre altes Versteck zum Vorschein. Ein wichtiger Fund für Hagens Forscher.
27.850 Tage später. 76 Jahre und drei Monate. So lange könnte es ersten Vermutungen nach her sein, dass die historischen Dokumente und Gegenstände in jenen Wandschacht eines Hauses in Eckesey geschmissen wurden, in dem Sebastian Yurtseven (39) sie am Tag nach der Jahrhundertflut fand. Darunter ein Revolver, Schlagringe, penible Dokumentationen über den Stand von Schwangerschaften der Frauen im Stadtteil, noch originalverpackte Gasmasken oder Protokolle über Lebensmittelrationierungen sowie Briefe von und zur Front. Es handelt sich um den bedeutendsten NS-Versteckfund der vergangenen Jahre in der Region.
Eine Rigips-Platte war durch die Überflutung des Erdgeschosses so feucht geworden, dass sie sich gelöst hatte. Darunter eine Lehmputzschicht auf roten Ziegeln, wie man es in vielen Häusern im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert baulich gelöst hat. In einem Loch in der Wand kommt Sebastian Yurtseven, der als Geschichtslehrer an einem Berufskolleg arbeitet, zunächst eine Zeitung aus den 1940er-Jahren entgegen. „Als ich sie herausgezogen habe, rutschten von oben andere Objekte nach.“
Bücher mit dem Titel „Der ewige deutsche Wille“ oder „Flakkameraden 1941“. Aufzeichnungen über Parteimitglieder im Ortsteil Eckesey, besagte Dokumentationen über schwangere Frauen, Lebensmittelrationierungen, Gasmasken, ein früher Parteiadler der NSDAP, Trillerpfeifen der SA. Yurtseven bekommt eine Gänsehaut. „Mir ist erst wenige Momente später klar geworden, dass es sich hierbei um einen Fund handelt“, sagt er.
Ralf Blank: „Es handelt sich um einen unheimlich wichtigen Fund“
Er kontaktiert das Stadtarchiv, auch Prof. Dr. Michael Baales, Leiter der Außenstelle Olpe der LWL-Archäologie wird in Kenntnis gesetzt. „Es handelt sich um einen unglaublich wichtigen Fund. Er wirft ein Schlaglicht auf das Handeln und Wirken von NS-Dienststellen auf lokaler Ebene. Darüber ist der Forschung immer noch zu wenig bekannt.“, sagt Dr. Ralf Blank, Fachdienstleiter Wissenschaft, Museen und Archive der Stadt Hagen.
Denn nach erster Durchsicht und der Befundlage handelt es sich wohl um hektisch verstecktes Schriftgut und die Ausstattung der für den Stadtteil Eckesey zuständigen Dienststelle der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV). Ihr unterstanden Bahnhofsdienste, das Ernährungshilfswerk, Gemeindepflegestationen, das Haushaltshilfe-Hilfswerk, das Hilfswerk Mutter oder die Kinderlandverschickung. Wohlfahrtspflege hatte für die NSDAP zunächst keine Rolle gespielt. Später spürte die Partei aber, dass solche Leistungen bei der Bevölkerung ausgezeichnet „ankamen“ und man diese zu Propagandazwecken sehr gut nutzen konnte. Die NSV war aber auch in den NS-Terror und die Verfolgung einbezogen. Deshalb ist Blank gespannt, was die Auswertung des umfangreichen Schriftguts zu Tage fördern wird.
Am späten Nachmittag des 14. April 1945 drangen die Amerikaner auf ihrem Befreiungszug mit Panzern und Infanterie des „Third Platoon“ im Verband des 740. Tank Bataillons in Hagens nördlichere Stadtteile Eckesey und Vorhalle vor. Sie waren von Haspe aus entlang der Ennepe vorgerückt. Einen Tag später war das nördliche Stadtgebiet dann in der Hand der 8. Infantriedivision „Pathfinder“ der Amerikaner.
Das südliche und östliche Stadtgebiet und die Innenstadt hatte das 341. Infanterie Regiment der 86. Division „Black Hawks“ bereits am Vortag besetzt. „Ich gehe davon aus, dass die in dem Wandschacht entsorgten Gegenstände, darunter auch ein typisches „Führerbild“ Hitlers und interessanterweise auch ein Portrait von Kaiser Friedrich III., vermutlich an diesem 14. April dort hineingeworfen wurden“, sagt Ralf Blank. Wohl nicht, um sie irgendwann wieder hervorzuholen, sondern um sie vor den gewissermaßen vor der Haustüre stehenden Amerikanern zu verbergen.
Die Funde müssen jetzt mit Unterstützung des LWL-Archivamts konserviert werden. Die Funde und die Ergebnisse der Einordnung sollen der Öffentlichkeit im neuen Stadtmuseum präsentiert werden. Geplant ist eine dreidimensionale Rekonstruktion des durch die LWL-Archäologie sorgfältig dokumentierten, mit Funden gefüllten Wandschachts.