Hagen. Während die Regenflut über Hagen hereinbrach, wurden die Bürger permanent über verschiedenste Kanäle über die Lage informiert. Hier das Protkoll:
Als Henning Keune als amtierender Leiter des städtischen Krisenstabes an jenem verhängnisvollen Starkregenflut-Mittwoch, 14. Juli, gegen 17 Uhr bei der bereits zweiten Pressekonferenz des Tages eine erste Schadensbilanz zog, ahnte er kaum, was der folgende Abend angesichts der permanent ansteigenden Fluss-Pegel noch bringen würde. Zu dieser Stunde strömte das Wasser über der Feuerwache Hagen-Ost in Bindfäden aus dem dunkelgrauen Himmel hinab und verschärfte die ohnehin schon brisante Lage zusätzlich.
„Das ist das größte Unwetterereignis seit Beginn der Wetteraufzeichnungen“, berichtete der Dezernent von 200 Litern Wasser pro Quadratmeter, von Hangrutschen, Überschwemmungen, Geröllmassen, abgeschnittenen Wohngebieten und zerstörter Infrastruktur. Rettungseinsätze seien nicht mehr allerorten zu gewährleisten, Hunderte Einsatzkräfte könnten längst schon nicht mehr alle Alarmrufe zeitnah abarbeiten und die Bundeswehr sei bereits alarmiert. Und das alles, obwohl die Hagener Einsatzkräfte sich vorausschauend präpariert und die Bürger auf den verschiedensten Informationskanälen permanent über die aktuellen Entwicklungen ins Bild gesetzt hatten.
Gibt es lokale Versäumnisse?
Doch wie sind die Informationswege rund um die Starkregenflut eigentlich gelaufen? Hätten die Bürger tatsächlich frühzeitiger oder besser gewarnt werden können? Welche Meldungen sind im Vorfeld und über den Tag auf welchen Kanälen rausgegangen? Sind kritische Stimmen aus der Bürgerschaft berechtigt, die von mangelhafter Alarmierung auf lokaler Ebene sprechen?
Die erste amtliche Warnung des Landes auf Grundlage der Meldungen des Deutschen Wetterdienstes erreichte die Leitstelle der Hagener Feuerwehr am Montagvormittag. Als daraufhin Feuerwehr-Einsatzleiter Ralph Blumenthal eine erhöhte Ansprechbarkeit des Führungsstabes anordnete, wurde er von manchen Kollegen zunächst belächelt. Doch aufgrund weiterer Prognosen zu dem Tiefdruckgebiet „Bernd“ und den kaum enden wollenden Regen-Realitäten, die am Dienstag vom Himmel prasselten, wurde in der Nacht zum Mittwoch um exakt 0.21 Uhr die Feuerwehreinsatzleitung eingesetzt und Stadtalarm für sämtliche Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr ausgelöst.
Warnung für Samstag
Schon am Freitagnachmittag gibt es eine neue Warnung der Feuerwehr über die Nina-Warnapp für Hagen: Am Wochenende kann es gebietsweise ab den Nachmittagsstunden zu kräftigen Gewittern und Starkregen kommen. „Ein Blick auf die Wettermodelle zeigt: Uns könnten zwar teilweise starke Regenschauer erwarten, aber mit Blick auf die Wassermengen um Längen nicht so dramatisch, wie vergangene Woche. Prognostiziert sind maximal bis zu 40 oder 50 Liter pro Quadratmeter – und diese Mengen werden voraussichtlich eher in Süddeutschland erreicht, als hier“, so Wetterexperte Bastian Rissling. „Mit hundertprozentiger Genauigkeit kann man so etwas aber nie voraussagen. Oder wenn, erst kurz vorher. Es gibt Gewitter, die vorher kaum abzusehen sind und die sich erst in der Nähe oder über Hagen bilden.“Warnungen ernst nehmenBastian Rissling beobachtet auch, wie ernst die Menschen nun plötzlich die Wetter-Warnungen nehmen: „Wir sind in Deutschland, gerade aus den letzten Sommern, beständiges Hochdruck-Wetter gewöhnt, was uns dieses Jahr bislang verwehrt geblieben ist. Bei Wetterwarnungen kann es immer passieren, dass die Gewitter letztlich über uns hinwegziehen. Hagen hatte da oft Glück – und manche Menschen waren daher vielleicht auch ein wenig desensibilisiert, wie unberechenbar das Wetter sein kann. ,Da war ja gar nichts, nur Sonnenschein’ – diesen Satz bekomme man laut Rissling häufig zu hören. Auch Rissling empfiehlt, weiterhin die Wettervorhersagen und Warnungen im Blick zu behalten. „Aber so dramatische Szenen wie zuletzt werden sich – zumindest an diesem Wochenende – voraussichtlich nicht wiederholen.“Auch nächste Woche, so der Wetterexperte, werde der Tiefdruck-Einfluss in Hagen dominieren. „Die Hoffnung für schöneres und wärmeres Wetter liegt jetzt auf dem August – der beständigste Monat mit Blick auf das Wetter.“
Bereits neun Minuten später, also um 0.30 Uhr in der Nacht, heulten im gesamten Stadtgebiet die Sirenen, um die Bevölkerung vor dem Ernst der Lage zu warnen. Einen weiteren Gefahrenhinweis schickte die Hagener Feuerwehr über die Nina-App (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) um 2.48 Uhr hinterher.
Der Krisenstab der Stadt Hagen, zu dem Vertreter der zuständigen Verwaltungsfachbereiche sowie von Feuerwehr, Polizei, Bundeswehr, Enervie und auch Hagener Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft zählen, traf sich kurz nach 3 Uhr erstmals in der Feuerwache Ost. Parallel dazu kam in kurzer Taktung die Einsatzleitung der Feuerwehr immer wieder zusammen, da angesichts der in der Leitstelle auflaufenden Hilfeersuchen aus der Bevölkerung sowie der Augenzeugenberichte der Feuerwehrkollegen vor Ort sich eine immer dynamischer sich zuspitzende Lage abzeichnete. Um 6.37 Uhr schickte die Feuerwehr die nächste Warnung an die Bürger über den Nina-Alarm hinterher.
Parallel dazu liefen aktuelle Informationen permanent über die Social-Media-Kanäle der Stadt sowie deren Internetseite, über die Kanäle von Feuerwehr und Polizei, aber auch bei Radio Hagen sowie selbstverständlich über die Internet- und Facebookseite der Stadtredaktion, wo bis in den späten Abend ein News-Ticker mit Updates lief. Selbst die im Stadtgebiet an neuralgischen Punkten platzierten LED-Werbetafeln wurden genutzt, um aktuelle Warnhinweise einzublenden.
Hilferuf an die Bundeswehr
Noch vor der zweiten Pressekonferenz des Mittwochs um 17 Uhr, richtete der Krisenstab Notunterkünfte am Ischeland ein, über die sämtliche Medienvertreter und die Stadt ebenfalls zeitnah berichteten. Gleichzeitig ging eine Unterstützungsbitte an die Bundeswehr raus, die in den nächsten fünf Stunden mit mehr als 200 Kräften in Hagen anrückte, um die Rettungseinsätze mit schwerem Gerät zu unterstützen.
Noch am frühen Mittwochabend war mit Blick auf die Flüsse von einem Hochwasserereignis die Rede, wie es nur alle 25 Jahre (HQ25) vorkomme. Eine Einschätzung, die in den nächsten Stunden rasant korrigiert werden musste: Kurz nach 18.30 Uhr forderte der Krisenstab sämtliche Personen, die in unmittelbarer Nähe zu den Flüssen wohnen, auf, ihre Häuser sofort zu verlassen, sich in höhere Gefilde zu retten oder zumindest die Obergeschosse aufzusuchen. Denn aus den Tälern rauschten die Fluten eines hundertjährigen Hochwassers auf Hagen zu – mit den entsprechend verheerenden Folgen, an denen letztlich angesichts der Wassergewalten kein weiterer Warnhinweis hätte etwas ändern können. Oft fehlte den Menschen einfach der Glaube an diese zerstörerische Kraft des Wassers.