Der Naturschutzbeirat in Hagen wird jetzt von Antje Selter geleitet. Im Interview erklärt die Geologin, was Corona für die Natur bedeutet.

Antje Selter ist neue Vorsitzende des Naturschutzbeirats Hagen. Sie löst Wilhelm Bögemann (72) ab, der das Gremium gut neun Jahre lang leitete.

Aus welchem Beweggrund haben Sie das Amt übernommen?

Der Naturschutzbeirat wirkt ja als Bindeglied zwischen Bürger und Behörde, um so durch Aufklärung, Beratung und Informationen Verständnis für die Belange des Naturschutzes zu fördern. Mir ist es besonders wichtig, dass man mich bei Fragen etc. aus der Bevölkerung jederzeit ansprechen kann.

Ist der Naturschutzbeirat nicht ein zahnloser Tiger? Das Gremium besitzt ja keinerlei Entscheidungsgewalt.

An sich ist das richtig. Wir können nur beratend tätig sein und mahnend den Zeigefinger heben, wenn wir Belange der Natur beeinträchtigt sehen. Andererseits ist genau das die Stärke des Beirates, nämlich Fehlentwicklungen aufzuzeigen. Dadurch haben wir in den vergangenen Jahren viel an Renommee hinzugewonnen.

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Zu den viel diskutierten Themen gehörte ein Verbot von Steingärten in Neubaugebieten. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin eindeutig für ein solches Verbot, weil es nicht einzusehen ist, noch mehr versiegelte Flächen zu schaffen als notwendig. Reine Steingärten sind mir ein Graus! An sich ist es jedoch auch sehr einfach und bedarf keiner großen Anstrengung, einen grünen Vorgarten anzulegen. Allerdings hapert es meiner Meinung nach an der Aufklärung, viele Bürger wissen über diese Dinge gar nicht gut Bescheid.

Wie meinen Sie das?

Was die Aufklärung über den Artenschutz angeht, müssen wir eindeutig zulegen. Vom Insektensterben hat ja sicher jeder gehört, aber dass man, um dem wirkungsvoll entgegenzutreten, auch kleine grüne Inseln in den Großstädten benötigt, das scheint nicht vielen Leuten bewusst zu sein. Natürlich rettet man nicht die Welt, wenn man seinen Garten begrünt, aber man leistet einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz. Wir in Hagen wissen schließlich besonders gut, was passieren kann, wenn sich die Kohlendioxid-Wert rapide erhöhen sollten.

Was hat das ausgerechnet mit Hagen zu tun?

Ich bin ja von Haus aus Geologin und bemühe mich seit vielen Jahren darum, die rund 20 Geotope, die es in Hagen gibt, für Touristen zu heben und erlebbar zu machen. Anhand dieser Geotope kann man u.a. Klimawandel in der Erdgeschichte erkennen und Rückschlüsse auf heutige klimatische Veränderungen ziehen. Vor 380 Millionen Jahren lag im Hagener Süden ein gewaltiges Korallenriff, das von seiner Bedeutung her heute mit dem Great Barrier Reef in Australien vergleichbar ist. Als Relikt blieb von diesem Korallenriff der Massenkalk, der heute in den hiesigen Steinbrüchen abgebaut wird. Im Hasselbachtal etwa gibt es fossile Zeugnisse für ein Massensterben, 50 Prozent der Lebewesen starben damals aus.

Ist es nicht etwas gewagt, einen Vergleich mit der heutigen Klimakrise zu ziehen?

Ja und nein. Auch derzeit sehen wir uns mit einem erdgeschichtlich schnellen Anstieg der CO2-Werte konfrontiert. An der Grenze vom Devon- zum Karbon-Zeitalter kam es zu einem sehr rasanten Anstieg der Werte, was schließlich unter anderem vor 358 Millionen Jahren zu einem Massenaussterben führte. Aber wir können daraus lernen, dass eine solche Entwicklung in der Regel nichts Gutes bedeutet für das Leben auf der Erde. Viele Arten kommen damit nicht klar. Und wir müssen es ja nicht wieder zu einem Massensterben kommen lassen, das diesmal von der Menschheit selbst verschuldet wäre, oder?

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Macht die Corona-Pandemie den Naturschützern eigentlich zusätzlich das Leben schwer?

Im Gegenteil, vielerorts kommt die Natur zur Ruhe, weil die Menschen nicht in sie vordringen. Nehmen Sie nur das Mittelmeer oder die Alpen, wo sich die Natur endlich einmal vom Massentourismus erholen kann. Die Menschen sind jetzt, wenn sie rausgehen, viel bewusster unterwegs, befassen sich mit der Landschaft, in der sie wohnen. Hagen hat herrliche Ecken, die die Leute jetzt für sich entdecken.

Bis auf zwei Jahre immer in Hagen gelebt

Antje Selter wurde 1964 in Hagen geboren.

Nach dem Abitur am Ricarda-Huch Gymnasium studierte sie Geologie in Bochum und arbeitete anschließend in einem Ingenieurbüro für Altlasten und Umweltschutz.

2007 schied sie dort aus und gründete zwei Jahre später in Hagen Geotouring, eine Agentur für Eventmanagement.

2010 übernahm sie die elterliche Firma (WAKA H. Ulbricht GmbH Co KG, Handelsgesellschaft für Ersatzteile für Schienenfahrzeuge).

Antje Selter ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Sie ist Dozentin an verschiedenen Volkshochschulen und engagiert sich für diverse Naturprojekte. Obwohl sie als Jugendlich immer aus Hagen wegziehen wollte, hat sie, bis auf zwei Jahre in Witten, immer in Hagen gelebt. Mittlerweile sei es ihr ein Herzblut, die Besonderheiten in Hagen zu erhalten und darauf hinzuweisen: „Mein Ziel ist ein positiver Imagewandel für diese Stadt. Schön ist es fast überall, man muss nur wissen, was man daraus macht.“

Es heißt ja, der Wald sei Hagens großer Schatz. . .

Und das stimmt auch. Die großen Waldflächen auf unserem Stadtgebiet sollten wir nicht angreifen. Es gibt genug Brachflächen, um die Stadtentwicklung voranzutreiben.

Andererseits ist der Baumwipfelpfad in Haspe kläglich gescheitert.

Ja, ein solches Projekt wäre eine tolle Sache. Aber nicht an jener Stelle, an der es geplant war. Die Hinnenwiese hat eine völlig unzulängliche Verkehrsanbindung für einen solchen touristischen Magneten.

Antje Selter ist erreichbar unter Tel. 0178-1964177.