Hagen. Steigt das Interesse an Lokalpolitik, wenn die Sitzungen live übertragen werden? Die Parteien ringen um eine Lösung.

Die Politikverdrossenheit in Hagen wächst, die Wahlbeteiligung lag zuletzt nur knapp über der 40-Prozent-Schwelle und die Lokalpolitiker sehen sich immer häufiger Anfeindungen aus der Bürgerschaft bei direkten Begegnungen oder in den sozialen Netzwerken ausgesetzt. Kann hier die Einführung eines Rats-TV-Angebotes die Wende bringen? Seit Jahren wird in Hagen unter den Fraktionen bereits über die Einrichtung eines Streaming- oder „Video on demand“-Angebotes für Rats- und Gremiensitzungen diskutiert, um die Bürger wieder enger an die Entscheidungsfindungsprozesse heranzurücken. Doch eine abschließende Entscheidung wird immer wieder vertagt.

Auch interessant

WP-Redakteur Martin Weiske
Von Martin Weiske zum Thema transparente Politik

Der Oberbürgermeister habe bei seiner Wiederwahl doch zugesagt, wieder mehr Bürgerbeteiligung erzeugen zu wollen, erinnerte zuletzt Bürgermeisterin Karin Köppen (Grüne), „dazu wäre eine Übertragung der Sitzungen ein denkbares Instrument“. „Die jüngste Wahlbeteiligung hat gezeigt, dass es geboten ist, dem Desinteresse entgegenzuwirken“, appellierte BfHo-Vertreter Frank Schmidt, zumindest Tonaufzeichnungen bereitzustellen. Doch Verwaltungschef Erik O. Schulz bleibt skeptisch: „Die Erfahrungswerte über das Nutzerverhalten bei anderen Städten machen deutlich, dass die verursachten Kosten und der Aufwand in keinem angemessenen Verhältnis zur Nachfrage stehen.“

Erhebliche Kosten

Zur Begründung verweist die Stadt darauf, dass der entstehende Finanzaufwand von 900 bis 1600 Euro pro Sitzung, der für einen externen Dienstleister gezahlt werden müsste, als freiwillige Leistung einer Nothaushaltskommune kaum zu rechtfertigen seien. Dabei würde es sich auch bloß um eine Übertragung über zwei starre Kamera-Positionen handeln, die zum einen das Rednerpult, das fortan konsequent und deutlich zeitaufwendiger genutzt werden müsste, sowie den Verwaltungsvorstand um OB Schulz im Blick hätten, aber nicht einmal das gesamte Plenum. Höherer technischer Aufwand wie Schwenks, Zoomfunktionen, Einblendungen oder gar mobile Kameras würden ebenso wie eine nachträgliche Bearbeitung weitere Kosten auslösen.

Gefahr des Missbrauchs

Die Stadt Hagen weist die Politik warnend darauf hin, dass Nutzer des Internetstreams das Material natürlich auch für Manipulationen missbrauchen könnten.

So können beliebige Wortbeiträge der Mandatsträger gekürzt, nachvertont oder gar verballhornt werden, um sie anschließend auf Internetportalen (Facebook oder YouTube) in veränderter Form wieder zu veröffentlichen.

Die Stadt Hagen weist ausdrücklich darauf hin, dass sie einen Missbrauch der Bild- und Tonaufzeichnungen weder ausschließen noch verhindern könne.

Hinzu gilt es, reichlich rechtliche Fragen zu klären, wenn die Aufzeichnung einer Ratssitzung über das Internet weltweit an einen unbestimmten Personenkreis verbreitet wird. Dies ist datenschutzrechtlich nur dann zulässig, wenn sämtliche Protagonisten – also Mandatsträger, Verwaltungs- und Fraktionsmitarbeiter, sachkundige Bürger und Zuschauer vorab ihre Einwilligung erteilt hätten. Diese könne jederzeit, sogar während der Sitzung, widerrufen werden, so dass im Nachgang eine Aufzeichnung technisch anonymisiert oder gar gestoppt oder stumm geschaltet werden müsste, so die Stadt.

Zuschauerinteresse ist überschaubar

Zudem müssen technische Voraussetzungen wie ein gesonderter Zugang auf die Mikrofonanlagen, eine eigene Stromversorgung für Kamera- und Mischpulttechnik sowie Extra-Upload-Kapazitäten für die Internet-Übertragung abseits des städtischen Netzes geschaffen werden. Dieses Equipment muss zwischen öffentlichem und nicht-öffentlichem Teil der Sitzung demontiert werden (Abbaudauer: ca. 30 Minuten), um heimliche Ton- oder Bildmitschnitte auszuschließen.

Letztlich verweist die Stadt darauf, dass die Erfahrungen anderer Städte wie Bottrop, Solingen, Neuss oder auch Leverkusen gezeigt hätten, dass das Publikumsinteresse von Rats-TV-Liveübertragungen eher überschaubar sei. Je nach Brisanz der Tagesordnung verfolgen im Schnitt 140 Nutzer das Angebot (schwankend zwischen 10 und 450 Zuschauern). Hinzu kommen noch einmal 230 Interessenten, die sich im Internet in eine verlinkte Aufzeichnung einklinken. Dabei schalten etwa 90 Prozent der Nutzer bereits nach wenigen Minuten schon wieder ab, so dass es am Ende eher Einzelpersonen sind, die hier interessiert dranbleiben.

Dennoch forderte Linken-Sprecher Ingo Hentschel zuletzt die Stadt auf, noch einmal die Erfahrungen in den Nachbarkommunen zu prüfen: „Demokratie muss man sich auch was kosten lassen.“ Ähnlich appellierte auch FDP-Sprecher Claus Thielmann, der als klassischer Vertreter einer kleineren Partei natürlich auch die Chancen eines Rats-TV-Angebotes für die seltener präsenten Ratsgruppen erkennt. Entsprechend sicherte Kämmerer Christoph Gerbersmann noch einmal zu, die seit 2012 laufende Debatte mit weiteren Fakten aus anderen Städten anzufüttern. Allerdings äußerte auch er Zweifel, „ob es einer transparenten Darstellung von Politik diene, wenn Bild- und Tonaufnahmen gepixelt und stummgeschaltet werden, nur weil von jedem Sitzungsbeteiligten unterschiedliche schriftliche Einverständniserklärungen vorliegen“.