Hagen. Wie geht es Corona-Patienten nach einer schweren Infektion? Werden wir für immer mit dem Virus leben müssen? Ein Lungenarzt aus Hagen antwortet.

Dr. Cornelius Kellner (62) ist Facharzt für Lungenkrankheiten in Hagen. Im Interview mit unserer Zeitung nimmt er Stellung zu den Nachwirkungen einer Corona-Infektion, zu Behandlungsfortschritten, Immunität und Impfung.

Wie schätzen Sie die Pandemie aus klinischer Sicht ein? Gibt es neue Entwicklungen?

In meine Praxis kommen zunehmend Patienten, die unter den Folgeerscheinungen einer überstandenen Corona-Infektion leiden, vor allem unter Müdigkeit und Leistungsschwäche. Im Röntgenbild sind die Ursachen dieser Symptome in den meisten Fällen gar nicht zu erkennen und daher wissenschaftlich auch kaum einzuordnen.

Ein Rätsel wie so vieles, das man noch nicht über das Virus weiß?

Was nicht messbar ist, ist zunächst schwer zu interpretieren. Wie gesagt, in den meisten Fällen sieht man auf dem Röntgenbild gar nichts. Nach schweren Infektionen sind aber sehr wohl Veränderungen im Röntgenbild der Lunge erkennbar. Dies sind Narbenbildungen im Gewebe als Folge der Entzündung und der Gefäßveränderungen, die ja das Hauptbild der Krankheit darstellen. Diese Vernarbungen bleiben leider bestehen, die Patienten werden für den Rest ihres Lebens mit einer Einschränkung der Lungenfunktion zu tun haben. Davon sind aber nur wenige Patienten betroffen.

Erreger lässt Blutgefäße zuschwellen

Wie sehen die CTs der Patienten aus, die beatmet werden müssen?

Als Pneumologe kriege ich manchmal das kalte Grausen, wenn ich die CT-Aufnahmen dieser Lungen sehe. Bisweilen ist das gesamte Organ verschattet.

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Sind derartige Symptome völlig neu?

Natürlich kenne ich ähnliche Bilder auch von anderen viralen oder bakteriellen Pneumonien. Sie sind aber selten, erst durch Covid-19 treten sie häufiger auf. Der Erreger lässt die Blutgefäße zuschwellen, die Lungenbläschen werden durch die Entzündung zugesetzt, die Patienten bekommen keine Luft mehr.

Antikörper und Serum

Gibt es Fortschritte in der Behandlung von Covid-19?

Keine entscheidenden. Die Gabe von Remdisivir zeigt nur im Anfangsstadium der Erkrankung eine geringe Wirksamkeit. Die überschießende Entzündung versucht man mit Cortison zu hemmen, auftretende Gerinnungsstörungen mit Heparin. Die Entwicklung spezieller Antikörper ist noch lange nicht abgeschlossen, geschweige denn ihr klinischer Einsatz. Ein zweiter Ansatz ist ein Rekonvaleszentenserum.

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Was hat es damit auf sich?

Dieses Serum stammt von Menschen, die von Corona genesen sind und Antikörper entwickelt haben. Es wird Patienten mit schwerer Lungenfunktionseinschränkung verabreicht. Es gibt gewisse Hinweise auf positive Effekte, aber längst keinen Durchbruch.

Nicht genügend Erkenntnisse

Wie lange ist man denn nach einer Infektion immun?

Das wird zurzeit untersucht, mangels erforderlicher Daten gibt es aber nicht genügend Erkenntnisse. Die Immunität scheint einige Monate anzuhalten, nicht länger. Selbst wer eine Infektion erfolgreich durchgemacht hat, sollte sich mindestens einmal impfen lassen.

Ist die Impfung das Allheilmittel gegen Corona?

Natürlich nicht, aber sie ist sehr wahrscheinlich dazu geeignet, die Pandemie einzudämmen. Denken Sie nur an den Poliovirus, der die einst so gefürchtete Kinderlähmung hervorruft und der durch eine weltweite Impfkampagne nahezu ausgerottet worden ist. Ich werbe für mehr Impfbereitschaft, denn die ist in der Bevölkerung beunruhigend niedrig. Eine Katastrophe.

Fantastische Leistung der Medizin

Können geimpfte Personen das Corona-Virus noch übertragen?

Auch das wissen wir noch nicht, in einigen Monaten werden wir in diesem Punkt aber schlauer sein. Wichtiger ist zurzeit, dass jeder Geimpfte dazu beiträgt, die Intensivstationen zu entlasten. Die Wirkung der beiden bislang zugelassenen Impfstoffe beträgt rund 90 Prozent, schwere Verläufe verschwinden aber zu 100 Prozent. Im besten Fall wird es nach einer großflächigen Impfung keine Corona-Todesopfer mehr geben.

Wie lange hält denn der Impfschutz an?

Auch das dürfen Sie mich in einigen Monaten wieder fragen, wenn verwertbare Erkenntnisse vorliegen. Es wäre Sterndeuterei, dazu jetzt etwas zu sagen. Grundsätzlich finde ich es aber bemerkenswert, dass innerhalb so kurzer Zeit überhaupt ein Impfstoff entwickelt wurde. Eine fantastische Leistung der Medizin.

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Werden wir für immer mit Corona leben müssen?

Das mag sein, es spricht einiges dafür. Der Impfschutz wird wohl immer wieder erneuert werden müssen, ähnlich wie beim Grippevirus. Und es wird Mutationen geben, die stärker virulent sein mögen als die jetzt auftretenden Varianten. Aber dass das Virus den Impfschutz vollkommen unterlaufen wird, scheint mir derzeit unwahrscheinlich.