Hagen . Die Arbeit der Drogenhilfe Hagen hat sich verändert. Es gibt keine Szene mehr. Konsum findet im Privaten statt.

In den 37 Jahren, die Bernhard Titze bereits für die Kommunale Drogenhilfe der Stadt Hagen arbeitet, hat sich die gesamte Drogenszene verändert. Ein großer Teil der Arbeit, die die Kommunale Drogenhilfe leistet, läuft eher versteckt im Hintergrund, fernab von der Öffentlichkeit. Im Interview der Woche blickt er auf Veränderungen in Hagen, auf Herausforderungen, auf die Präventionsarbeit und auf die Wichtigkeit, das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit zu rücken und zu sensibilisieren.

Man hat häufig den Eindruck, dass es mittlerweile zum „Trend“ wird, Drogen zu nehmen. Deckt sich das mit Ihrer Wahrnehmung?

Drogen, Sexualität und Medien sind das große Thema in der Jugendwelt. Drogenkonsum ist ständiger Begleiter der Jugend- und Erwachsenenwelt, natürlich zählen hier auch Nikotin und Alkohol dazu. Aus meiner Sicht, hat der Drogenmissbrauch oft etwas mit einer schlechten Konfliktlösung zu tun. Gerade im Jugendalter kommen auch Aspekte von Gruppendynamik mit hinein. Wenn ich jetzt sagen müsste, was sich in den letzten Jahren verändert hat, ist das zum einen der deutlich leichteren Zugang zu illegalen Drogen. Zum anderen aber auch, dass sich der Konsum immer mehr ins Private verschiebt. Eine richtige „öffentliche Drogenszene“ gibt es in Hagen nicht mehr. Das entspricht nicht der Wirklichkeit.

Seit 2013 Leiter der Drogenhilfe

Bernhard Titze ist verheiratet, 62 Jahre alt und stammt gebürtig aus Hagen. 1982 machte er seinen Abschluss als Diplom-Sozialarbeiter an der Fachhochschule in Dortmund.

Seit 1983 arbeitet er bei der Kommunalen Drogenhilfe Hagen, zunächst im Präventionsbereich . Im Jahr 2000 übernahm der Hagener dann die stellvertretende Leitung, 2013 dann schließlich die Leitung.


Wie sieht die Wirklichkeit aus?

Es gibt sicherlich noch Konsumenten, die sich an bestimmten Plätzen treffen. Ein Großteil des Konsums spielt sich aber fernab der Öffentlichkeit ab. Der Zugang wird über das Internet und Darknet erleichtert. Ein Problem ist außerdem, dass sich die Drogen verändert haben. Das Cannabis von heute ist kaum vergleichbar mit dem Angebot aus den 80er-Jahren, es ist deutlich stärker. Es sind zudem viele synthetische Drogen hinzugekommen, wie Amphetamine. Solche Drogen können zu Kontrollverlust und einer aggressiven Grundhaltung führen. Man liest ja täglich Meldungen von Jugendlichen oder Erwachsenen, die konsumiert und die Kontrolle verloren haben. Das hat sicherlich auch hier in Hagen zugenommen.


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Können Sie denn ungefähr abschätzen, wie viele Drogensüchtige es in Hagen gibt?

Das ist schwierig. Zumal man ja zwischen einfachen Konsumenten (Drogenmissbrauch) und Abhängigen unterscheiden muss. Als ungefährer Richtwert gilt, dass etwa ein Prozent der Bürger abhängig von illegalen Drogen ist. Das wären in Hagen etwa 2000 Bürger. Grundsätzlich bin ich aber kein Freund solcher Statistiken, weil sie niemals das komplette Bild zeigen.


Wo genau setzt Ihre Arbeit an?

Unsere Arbeit ist vielseitig, deckt von der Prävention, über die Beratung und Vermittlung bis zur Betreuung Substituierter oder Angehöriger viele Bereiche ab. Um es einfach zu erklären: Wir haben vor allem die Gruppe der „Nachfrager“ im Blick, während die Polizei die „Anbieter“ ermittelt und fasst. Dabei muss man sich immer vor Augen führen, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt. Daher bin ich kein Freund dieser Statistiken. Ein Beispiel: die Zahl der Drogentoten. Nicht erfasst werden hier beispielsweise Menschen, die konsumiert haben und später an Folgen wie Organversagen gestorben sind...

Unser Ziel ist es natürlich, über Präventionsarbeit die Nachfrage zu regulieren. Dann geht auch das Angebot zurück.


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Wie sieht die Präventionsarbeit in Hagen aus?

Ein wichtiger Baustein seit Beginn unserer Arbeit war die vorbeugende Arbeit. Das geschieht vorwiegend in Schulen sowie Aus- und Fortbildungseinrichtungen. Wir versuchen, das Thema jeweils altersgerecht aufzubereiten, beispielsweise über interaktive Spiele, Rauschbrillen oder ähnliches. Wir sind auch in der Lehrerfortbildung aktiv oder Ansprechpartner für Schulen, wenn sie das Thema angehen wollen. Seit zwei Jahren bieten wir auch eine Jugendsprechstunde im Kultopia an, die sich gut etabliert hat. Außerdem stehen wir natürlich mit Rat und Tat zur Seite, wenn sich jemand mit Suchtproblem an uns wendet, oder besorgte Eltern sich melden, wenn sie Veränderungen bei ihrem Kind beobachten.


Was raten Sie den Eltern dann?

Es ist wichtig, nicht sofort in Sanktionsmuster zu verfallen, weil das die Kinder eher dazu veranlasst, sich mehr zu verschließen. Man sollte konsequent bleiben, gleichzeitig aber auch im Gespräch mit den Kindern bleiben. Wir haben immer wieder erlebt: Auch die beste Erziehung kann letztlich nicht immer Drogenkonsum und -missbrauch verhindern. Es wirken im Jugendalter eben viele Faktoren auf die Entwicklung ein. Es ist es wichtig, gemeinsam in der Familie eine Lösung zu finden. Bei Fragen können sich Hagener immer telefonisch oder persönlich, anonym durch uns beraten lassen.


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Aber es gibt ja nicht nur Jugendliche, die illegale Drogen konsumieren...

Stimmt. Auch Erwachsene konsumieren. Wir begleiten und vermitteln dann auch an Entgiftungseinrichtungen und helfen bei der Reintegration. Denn oft verändert sich durch den regelmäßigen Konsum der Alltag. Was uns natürlich auch wichtig ist, ist ein sicherer Konsum. Gerade bei bestehender, oft langjähriger intravenöser Abhängigkeit. Dafür setzen wir uns mit Einrichtungen wie der Drogentherapeutischen Ambulanz mit angeschlossenem Café in der Bergstraße ein.


Es war auch mal ein „Druckraum“ im Gespräch…

Richtig. Das ist sicher wünschenswert, aber momentan in Hagen nicht umsetzbar. Außerdem bietet die Ambulanz in der Bergstraße 123a einen sicheren Platz für Konsumenten. Sie können hier saubere Spritzen bekommen, Wäsche waschen, duschen, sich austauschen. Es hat sich in den letzten Jahren als verlässliche Anlaufstelle etabliert. Zudem gibt es seit einiger Zeit eine neue Ambulanz für Substitutionspatienten in der Hochstraße. Dort können Suchtkranke von Opiaten Substitutionsprodukte bekommen und werden ärztlich begleitet. Der wichtigste Ansatz ist für uns natürlich weiterhin, dass es gar nicht erst soweit kommt. Aber gänzlich verhindern, kann man Drogenkonsum nie. Drogenkonsum, -missbrauch und -abhängigkeit zählen zur Wirklichkeit in nahezu allen Kulturen der Welt. Es gilt, die Augen nicht davor zu verschließen. Deswegen ist es umso wichtiger, immer wieder zu sensibilisieren und sich dem Problem zu stellen.