Werdringen. Tot hängt der Körper des Grafen im Baum in Werdringen. Ein junger Mann nimmt ihn ab, legt ihn zurück in den Sarg. Sein Körper leicht wie ein Kind
Ein heller Tag im Jahr 1970. In den Wäldern rund um Werdringen gehen Männer auf die Jagd. In einem Waldstück, etwa 800 Meter südöstlich des
Wasserschlosses
, macht einer von ihnen plötzlich eine schaurige Entdeckung, als sein Blick zwischen den Bäumen hindurchfällt. An einer Rotbuche hängt der Körper eines Grafen, der zu diesem Zeitpunkt schon etwas mehr als 100 Jahre tot ist. Grabräuber hatten ihn aus einem Zinnsarg aus dem direkt hinter der Buche stehenden Mausoleum gezerrt und aufgehängt. Zeitzeugen, die den Toten vom Baum holen und zurück in den geöffneten Sarg legen, berichten, dass er wie eine Mumie ausgesehen habe. Haut wie Pappmaché, leicht wie ein Kind.
Bei dem Mausoleum der Adelsfamilie von der Recke-Volmarstein, das heute völlig unerklärt direkt am Ruhrtalradweg und in diesen Herbsttagen schon von Weitem sichtbar am Waldrand liegt, handelt es sich um einen mystischen und weitestgehend unerforschten Ort. Immer wieder kommen Wanderer oder Spaziergänger her. Fremde wissen nichts über diesen Ort, alte Vorhaller hingegen kennen die Anziehungskraft des Totenkultes, den Grusel der Grabeshalle aus ihrer Kindheit. Die Erinnerungen bewegen sie bis heute.
Die alte Frau Schneevoigt
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Die alte Frau Schneevoigt war Haushälterin auf einem Gut in Werdringen. In den 50er-, 60er-Jahren. Ihrem Arbeitgeber, der in Werdringen mehrere Morgen Land besaß, unterlag auch die Reinlichhaltung des Mausoleums im Wald, einer Erbbegräbnisstätte in schlichter Steinbauweise, in das über eine steile Treppe eine Rundbogentür führte, für die Frau Schneevoigt den Schlüssel hatte.
Sie ging also in den Wald, öffnete die Grabeshalle und putzte dort. Im Inneren: Vier Zinnsärge auf steinernen Stelen, in denen wahrhaftig vier Tote lagen: Graf Ottomar von der Recke-Volmerstein (gestorben am 9. September 1859), seine Gattin Theresia von Bentheim-Tecklenburg (gestorben am 25. September 1861), Dietrich Graf von der Recke--Volmerstein (gestorben im Januar 1915) und eine Theresia (gestorben am 13. Mai 1874).
in das Gebäude hinein. „Das Blut Jesu Christi reinigt uns von allen Sünden“, ist in den höchsten Stein über dem Eingang gemeißelt. Johannes, Kapitel eins. Wer auf dem Weg dahin genau hinsieht, wird sehen, dass die Rotbuchen akkurat zu einer kleinen Grabes-Allee gepflanzt wurden.
1870 nach Schlesien gegangen
An der Rückseite der Grabeshalle stand bis in die 30er-, 40er-Jahre eine Gedenktafel. Darauf die Namen der im Mausoleum ruhenden Personen. Sie ist verschwunden. Um 1870 wurde der Wohnsitz der von der Reckes nach Schlesien verlegt. Das Wasserschloss war nur noch Wohnsitz des Aufsehers, dann landwirtschaftlicher Betrieb. Aber: Die 1874 verstorbene Adlige Theresia und ihr 1915 verstorbener Bruder Diedrich wurden auch nach dem Wegzug der von der Reckes nach ihrem Tod noch in die Grabeshalle gelegt. Ob ihr Lebensmittelpunkt immer noch hier lag, ist unklar. Auch, wer sie bestattete und was genau sie in ihrem Leben eigentlich auszeichnete.
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In der Zwischenzeit aber und auch in den Folgejahren wurde das Mausoleum zu einem Ort, dem historisch und öffentlichkeitswirksam keine Beachtung geschenkt wurde. Dafür übte es große Faszination auf jene aus, die dem Totenkult nachspüren wollten oder, wie ein Zeitzeuge, der nicht genannt werden will, berichtet, in den Särgen der Grafen und Prinzessinnen Reichtümer vermuteten. Denn die von der Reckes hatten die vier Toten aus dem Mausoleum nicht mitgenommen, sondern sie hier im Werdringer Wald zurückgelassen.
Die Grabräuber vermuteten in den Särgen teuren Schmuck
Ein heute über 80-Jähriger erinnert sich an eine Mutprobe unter Kindern. Immer wieder hatten Randalierer das Dach des Mausoleums zerstört und die Gewölbedecke aufgehackt. Man kletterte hinein, zündete drinnen Kerzen an. Da standen sie. Vier Zinnsärge auf steinernen Stelen. Darin die Grafen und die Prinzessin. Scheinbar mumifiziert. Zumindest auf besondere Weise konserviert. „Die waren nicht verwest, die Haut war noch wie Leder. Manche Särge waren geöffnet, weil man darin teuren Schmuck vermutet hatte. Jeder Sarg stand in einer Einbuchtung der Außenwand, Schilder an den Wänden zeigten an, wer darin liegt. Ein Kruzifix zierte die ganze Stirnwand. Es sieht heute noch so darin aus. Es ist eine der schaurigsten Erinnerungen meines Lebens.“
Fragezeichen hinter „Theresia“
Friedrich Wilhelm von der Recke-Volmerstein, der Erbauer des Mausoleums, war der Enkel von Adalbert von der Recke Volmerstein, dem Gründervater der Diakonie. Sein Vater Ottomar, dessen Leichnam 1859 in das Werdringer Mausoleum gelegt wurde, war königlich preußischer Rittmeister. Während der 1915 hier hineingelegte Diedrich wohl der Sohn von Mausoleums-Bauer Friedrich Wilhelm war, steht hinter Theresia (gestorben 1874) ein Fragezeichen.
„Bei der 1874 verstorbenen Gräfin Theresa könnte es sich um die Tochter von Therese und Ottomar handeln. Allerdings ist längst nicht bekannt, wer eigentlich noch alles im Mausoleum und vielleicht in einem Vorgängerbau bestattet wurde“, sagt Ralf Blank. Glaubt man Zeitzeugen, die das Mausoleum betreten hatten, dann waren es immer nur vier Särge.
Niemand kann sagen, was mit den Toten geschah und wo sie hinkamen
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Die Aktenlage im Stadtarchiv und in der Denkmalbehörde ist mehr als dünn zum Mausoleum. Es ist auch nicht klar, wann die Stadt das neue Dach über die Gewölbehalle bauen ließ. „Eines Tages entschied die Stadt, dass zugemauert wird und die Särge mit den Toten wegkommen“, sagt ein Zeitzeuge
Weder die Stadt noch das Archivamt des LWL in Münster wissen etwas darüber. Anfragen bei der LWL-Denkmalpflege und im Landesarchiv bleiben bislang unbeantwortet. Drei Legenden ranken sich um den Verbleib der Toten.
Angeblich sollen sie 1950 auf den Boeler Friedhof umgebettet worden sein. Recherchen in den Registern der beiden konfessionellen Friedhöfe liefern aber keine Treffer. Ein Zeitzeuge behauptet, sie seien nach Dortmund gekommen und der ehemalige Stadtarchivar Wetters, Dietrich Thier, wisse da mehr drüber. Den haben wir im Ruhestand in Ostfriesland erreicht. Thier kann nur auf eine Schrift des Heimatforschers Wolfgang Wiethoff verweisen, dass die Toten nach Heinzeburg in Schlesien gebracht wurden. Das deckt sich wiederum mit Aufzeichnungen aus dem Heimatwerk „Als Oma noch ein Mädchen war“ von Wolfgang Wiethoff und dem verstorbenen Hans-Peter Jaraczewski.