Hagen. Julius Weiß und Anna Bacha waren jung, hatten die Zukunft vor sich. Sie erwarteten ein Baby, wollten heiraten. Das Gesundheitsamt Hagen lehnte ab.
Julius Weiß und Anna Bacha wollten endlich heiraten. Sie wohnten zusammen, erwarteten ein Baby, und nun sollten ihr Zusammensein auch den staatlichen Segen erhalten. Doch die nationalsozialistischen Machthaber hatten etwas dagegen, sie untersagten dem jungen Paar in Hagen die Eheschließung: aus rassischen Gründen, weil Weiß ein Zigeuner sei. „Die Behörden verweigerten ihm den sogenannten Ehetauglichkeitsnachweis“, berichtet Rainer Stöcker, ehemaliger Lehrer und Mitglied im Hagener Geschichtsverein: „Dieses Papier brauchte man im Nazi-Reich, wenn man heiraten wollte.“
Stöcker hat das Leben von Julius Weiß erforscht, es steht exemplarisch für das Schicksal vieler Sinti, die von den Nazis gedemütigt, verfolgt und ermordet wurden. Zwar besaß Weiß die deutsche Staatsangehörigkeit, seine Vorfahren lebten seit über 200 Jahren in Deutschland, mehrere Männer aus der Familie hatten in der Wehrmacht gekämpft, doch bei den Nationalsozialisten galten sie als „rassisch minderwertig“. Julius Weiß und Anna Bacha blieb die Zeremonie im Standesamt verwehrt.
Ausufernde Bürokratie
Bei seinen Recherchen ist Stöcker immer wieder über die ausufernde NS-Bürokratie gestolpert. Die Rassenpolitik der Nazis fand in einer Weise Eingang in den Behördenapparat, die einen heutzutage ebenso ungläubig wie erschrocken zurückblicken lässt. Gesetze wie jene zur Verhütung erbkranken Nachwuchses oder zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volks bildeten die Grundlage für die menschenverachtende Verwaltungspraxis. „Es waren Gesetze, die sich zunächst einmal gegen die deutschen Volksgenossen richteten und weniger gegen Minderheiten“, so Stöcker: „Das erste Land, das die Nazis überfallen haben, war Deutschland.“
Wer an einer ansteckenden Krankheit, einem genetischen Defekt oder einer psychischen Störung litt, durfte nicht heiraten. Bald aber wurde auch vermeintlich „artfremden Rassen“ wie Juden und Zigeunern verweigert, Deutsche zu heiraten. Als Weiß und seine Braut im Hagener Standesamt vorstellig wurden, schickte ihn ein Beamter ins Gesundheitsamt. Dort fertigte man mit preußischer Akribie eine „Sippentafel“ des jungen Mannes an, doch obwohl sich keinerlei gesundheitliche Probleme nachweisen ließen, wurde Weiß beschieden, als „Abkömmling von Zigeunern“ dürfe er keine deutsche Frau heiraten.
Gesundheitsamt schickt „Volkspflegerin“
Das war 1939, Weiß war damals 21 Jahre alt. Er wohnte mit Anna Bacha in der Fleyer Straße 148, sie hatte bereits zwei Kinder aus erster Ehe, bald sollte das Baby zur Welt kommen. Weiß gab nicht auf. Er legte beim Regierungspräsidium Arnsberg Beschwerde gegen den Bescheid aus dem Gesundheitsamt ein, er wandte sich an Rudolf Heß, den in München residierenden „Stellvertreter des Führers“, in Briefen wies er ebenso naiv wie leichtsinnig darauf hin, dass er aus moralischen Gründen verpflichtet sei, seine schwangere Lebensgefährtin zu ehelichen, dass er selbst in der Wehrmacht gedient habe – alles vergebens. Der Regierungspräsident drohte ihm unverhohlen damit, zur „Vermeidung von Wirkungen das Zusammenleben bzw. den Verkehr mit der Witwe Bacha aufzugeben“.
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Was mit „Wirkungen“ gemeint war, erfuhr Weiß im Jahr 1940, als er ins Konzentrationslager Dachau abtransportiert wurde. Seine nun allein auf sich gestellte Braut hatte inzwischen das Baby auf die Welt gebracht und beantragte „Kinderbeihilfe“. Daraufhin schickte das Hagener Gesundheitsamt eine „Volkspflegerin“ in die Fleyer Straße, die in der Nachbarschaft herumschnüffelte und in Erfahrung brachte, Anna Bacha halte sich gern im Freien auf, rauche und erhalte Männerbesuche. Die Wohnung sei aber sauber und ordentlich, für die Kinder ausreichend gesorgt.
Vier Jahre im Konzentrationslager
Vier Jahre verbrachte Julius Weiß im KZ, erst als das Nazi-Reich zusammenbrach, kam er frei. Seine Mutter und die meisten seiner Geschwister waren in Auschwitz ermordet worden. Er zog ins Hessische, arbeitete als Schrotthändler, heiratete. 1949 kehrte er noch einmal nach Hagen zurück, weil er eine amtliche Bescheinigung benötigte.
Ausstellung im Museum
Im Osthaus-Museum Hagen läuft noch bis zum Sonntag, 1. November, die Ausstellung „Rassendiagnose: Zigeuner“, die historische Fotos von Sinti und Roma den bis heute wirkmächtigen „Zigeuner“-Klischees gegenüber stellt.
Konzipiert wurde die Schau vom Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Verbindung mit dem Stadtmuseum Hagen und dem Kommunalen Integrationszentrum der Stadt, gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.
Im Gesundheitsamt saß er Amtsarzt Dr. Scheulen gegenüber, der ihm zehn Jahre zuvor die Ehetauglichkeit abgesprochen hatte. Wahrscheinlich wollte Weiß Entschädigung für seine Zeit im KZ beantragen. Wie das Verfahren ausging, will Stadtchefhistoriker Dr. Ralf Blank ebenso erforschen lassen wie das Schicksal anderer Hagener Sinti, deren Familien in den Jahren der NS-Diktatur ausgelöscht wurden.
Julius Weiß starb 2005 in Hamm.