Hagen. 14 Stunden lang trieb Klara Meiners nach einer Havarie in der eisigen Nordsee, ihr totes Baby auf der Brust. Unterstützung erhielt sie aus Hagen.

„Mal steht das Wasser hoch, bis über den Mund. Dann wieder ein Schwall Luft. Zwei, drei Züge Leben. Das Meer hat Klara Meiners mitgenommen. Nur die Rettungsweste hält sie noch oben. Sie spürt noch das Säcklein, als sie versucht, sich zu ertränken. So reist sie mit der Flut.“

Auf der Nordsee nördlich von Wilhelmshaven ereignete sich im September 1960 ein tragisches Unglück. Das Frachtschiff Adelheid sank nach einem Ruderschaden auf Grund, vier Menschen fanden den Tod. Nur Klara Meiners (21) überlebte, 14 Stunden trieb die frisch verheiratete Frau in der eisigen See und war, wie die Ärzte sagten, zweimal klinisch tot. Ihr Mann (26) Ewald Meiners, der Kapitän und Inhaber des Schiffes, ertrank. Ihr acht Monate altes Baby, das sie auf den Bauch geschnürt hatte, ertrank. Ihre Mutter (60) ertrank. Ein Matrose (17) ertrank.

Ein gelber Fleck in den grauen Wellen

„Da ist ein gelber Fleck in den grauen Wellen. Sie fixieren den Punkt, sie dürfen ihn nicht verlieren. Sie fahren das Boot vorsichtig an die Person heran und sehen dort unten im Wasser eine Frau, die einen Stoffbeutel auf der Brust trägt. Einen braunen Leinenbeutel, den auch die Zeitungsausträger in diesen Jahren um den Oberkörper geschlagen haben. Die Wellen klatschen ans Boot. Das Kind ist tot. Das Kind, das auf dem Bauch seiner Mutter durchs Meer reiste.“

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Klara Meiners wurde schließlich von zwei Seenotrettern mehr tot als lebendig aus dem Wasser gezogen. Dass sie nach dieser Tragödie, in der sie nicht nur ihr Kind und ihre engsten Angehörigen, sondern auch ihren gesamten materiellen Besitz verloren hatte, überhaupt weiterleben konnte, verdankte sie nicht zuletzt einer großzügigen Geste aus Hagen.

Clara und Ewald Meiners.
Clara und Ewald Meiners.

Der Papierfabrikant Hans Eberhard Hoesch und seine Frau Uta lasen in der Zeitung von dem verhängnisvollen Schicksal der jungen Frau und unterstützten sie in den folgenden Jahren nach Kräften. Mit ihrer Hilfe schaffte es Klara Meiners irgendwann, ein neues Leben zu beginnen.

Spross einer berühmten Dynastie

Hans Eberhard Hoesch (1891 bis 1972) war ein Spross der berühmtem Hoesch-Dynastie, die nicht nur eines der bedeutendsten Stahl- und Montanunternehmen in Deutschland aufbaute. Sein Vater Emil Hoesch gründete 1896 die Papierfabrik Kabel, die noch heute als Kabel Premium Pulp & Paper GmbH fortbesteht. „Mein Vater war ein vermögender, aber sozialer Mensch“, erinnert sich Veronika Hoesch (69), die noch heute in Hagen lebt: „Er hat immer gesagt: Vermögen heißt nicht, dass man Geld aufhäuft, sondern etwas damit vermag.“

Kurze Zeit nach dem Unglück in der Nordsee fuhr Uta Hoesch nach Leer, um Klara Meiners in einem Kaufhaus von Kopf bis Fuß neu einzukleiden. Fortan schickten die Eheleute regelmäßig Geld an die Schiffbrüchige und halfen ihr auch in Grundstücksangelegenheiten. Die Weihnachtstage und das Neujahrsfest 1960/61 verbrachte die gebeutelte Frau im Hause Hoesch. „Meine Eltern haben die Knallerei immer abgelehnt, aber um unseren Gast aufzumuntern, hat Vater ein Tischfeuerwerk abgebrannt“, berichtet Veronika Hoesch.

Neue Existenz aufgebaut

Bis heute schreibt Klara Meiners, die über 80 Jahre alt ist und in Westrhauderfehn lebt, wo sie sich mit ihrem zweiten Mann eine neue Existenz aufbauen konnte, Briefe nach Hagen. Und Veronika Hoesch hält eine Teetasse in Ehren, die ihr Frau Meiners einst aus Norddeutschland mitbrachte. „Meine Klara-Meiners-Tasse.“

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„Woran sie sich erinnert, ist ihr Bernhard, den sie sich in dem baumwollenen Strampelsack auf den Bauch gebunden hat. Ganz fest auf den Bauch. Ewald Meiners band sich mit einer geschnappten Leine an ihrer Rettungsweste fest. Seine letzten Worte: Klara, ik go dod.“

Die Todesanzeige.
Die Todesanzeige.

Hans Eberhard Hoesch griff auch ein und engagierte einen Anwalt, als das Hauptzollamt in Leer nach dem Unglück von der Kapitänswitwe verlangte, die vom Staat gewährte Wirtschaftshilfe für 700 Liter zollfrei gelieferten Gasöls zurückzuerstatten. Durch den Untergang sei der Brennstoff ja nicht für den ursprünglichen Verwendungszweck, den Antrieb des Schiffes, verwendet worden, argumentierte die Behörde in ihrer ganz eigenen, kaltherzigen Logik. Erst auf Anordnung des Bundesfinanzministeriums ließen die Beamten ihre Forderung fallen.

Immer wieder ein neuer Anfang

Es könne einem doch eigentlich nichts Schlimmeres widerfahren als das, was Klara Meiners bei jener fürchterlichen Schiffskatastrophe erlebt habe, sagt Veronika Hoesch. Und doch sei es ein Beispiel dafür, dass das Leben immer wieder eine Wendung nehmen könne, immer wieder einen neuen Anfang. „Auch wenn man meint, es könne nie wieder gut werden.“

Hans Eberhard Hoesch zählt zu den Pionieren der Alten Musik

Hans Eberhard Hoesch wurde 1891 in Dresden geboren und ist am 3. Januar 1972 in Hagen gestorben. Er nahm an zwei Weltkriegen teil und führte fünf Ehen. Die Familie gehörte dem Umfeld des Hagener Mäzens Karl Ernst Osthaus an.

1919 übernahm Hans Eberhard Hoesch die Leitung der von seinem Vater Emil Hoesch gegründeten Papierfabrik Kabel als technischer Leiter, 1927/28 wurde er zum Vorstandsmitglied bestellt. Die Fabrik war damals eines des leistungsfähigsten Papierwerke Deutschlands.

Seine Distanz zum nationalsozialistischen Regime führte dazu, dass Hoesch den Vorstand der Papierfabrik verließ.

1959 verkaufte er das Werk an die Feldmühle AG.

Hans Eberhard Hoesch wurde auch bekannt als leidenschaftlicher Instrumenten- und Notensammler. Zudem gilt er als einer der Pioniere der Alten Musik. Seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass die Alte Musik heute weltweit verbreitet wird.

„Einmal in der Woche geht Klara Meiners schwimmen, geht in das öffentliche Schwimmbad nahe Rhauderfehn. Sie schwimmt dort ihre Bahnen, schwimmt langsam und ruhig, und das einzige, das sie schwer erträgt, sind die spritzenden Kinder, und niemals würde sie ihren Kopf unter Wasser halten.“

Die langen Zitatpassagen stammen aus dem Buch „Der Untergang der Adelheid“ von Marc Bielefeld (Autor) und Rike Sattler (Gestaltung). es ist bei let´s sea erschienen. Infos: lets-sea.com