Hagen. Die Krankheit Morbus Crohn hat das Leben von Michelle Gert auf den Kopf gestellt. Wie trotz Schmerzen und Problemen ein tolles Leben möglich ist.

Es ist Januar 2018. Michelle Gert aus Hagen ist im zweiten Ausbildungsjahr. Sie will Bankkauffrau werden. Aus dem Nichts bekommt sie höllische Bauchkrämpfe. „Es war schlimm. Ich konnte nichts essen, mich kaum bewegen“, sagt die 24-Jährige. 20- bis 30-mal am Tag muss sie auf Toilette, hat schlimmen Durchfall und Blut im Stuhl. Sie muss erbrechen, die Speiseröhre entzündet sich.

Sie geht von einem Infekt aus. Nach einer Darmspiegelung bekommt sie die Diagnose: Morbus Crohn, eine chronisch entzündliche Darmerkrankung. Sie wird nie wieder leben können wie vorher, sagt man ihr. Die Krankheit wird ihr Leben auf den Kopf stellen. „Und so war und ist es auch“, sagt die Hagenerin. „Aber das ist kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Lange Zeit kam ich nicht damit klar, aber man muss offen damit umgehen, das weiß ich jetzt. Ich will zeigen: Man kann auch mit dieser Krankheit ein tolles Leben haben.“

Starke Schmerzen während Schüben

Michelle Gert (24) nach einer Darmspiegelung im Krankenhaus.
Michelle Gert (24) nach einer Darmspiegelung im Krankenhaus. © Privat

Aber so war das nicht immer. Zu Beginn der Krankheit nimmt Michelle G. stark ab. Der Arzt verschreibt ihr 2019 Cortison. „Innerhalb von einem Jahr, dass ich vollgepumpt mit Medikamenten verbracht habe, habe ich dann wieder 15 Kilo zugenommen. Dazu kam die psychische Belastung, mir ging es schlecht.“

Die Krankheit kommt in Schüben - „einige Wochen geht es mir gut, dann kann es wieder richtig schlimm werden“. Sie versucht ein weiteres Medikament. Es hilft eine Zeit lang. Dann setzen Nebenwirkungen ein: Haarausfall, rissige und blutige Hände, trockene Haut.

Sie muss erneut die Medikation umstellen, auf Biologika – Immunsuppressiva.

„Das Immunsystem wird quasi runtergefahren, man ist sehr anfällig für Krankheiten. In der Coronazeit gelten wir auch als Risikogruppe“, erklärt die 24-Jährige, die vor zwei Jahren überhaupt nicht wusste, was das überhaupt für eine Krankheit ist. „Da war ich eine ganz normale junge Frau, bin gerne gereist, feiern gegangen, habe Alkohol getrunken. . .“

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Dinge, die jetzt nur noch bedingt möglich sind – vor allem wenn Michelle im Schub ist. Das letzte Mal Alkohol getrunken hat sie im Oktober - „und meist bereue ich es danach“.

Eine enorme psychische Belastung

Seit 1997 ist Kai Otto Mitglied der Hagener Selbsthilfegruppe Morbus Crohn/Colitis ulcerosa. Er ist selbst betroffen, „mir hat die Gruppe damals Kraft gegeben und weitergeholfen“, betont er. Denn bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen komme es auch auf den Austausch mit Betroffenen an.

Tabu-Thema für viele

„Das ist ein Tabu-Thema für viele. Ich kann jetzt offen damit umgehen, das war aber nicht immer so.“ Er rät möglichen Betroffenen in erster Linie, eine Erkrankung umgehend durch einen Facharzt abklären zu lassen. Proktologen gebe es beispielsweise im Hagener Ärztehaus am AKH, sagt er. Im zweiten Schritt käme dann die Selbsthilfegruppe ins Spiel, oder der Dachverband DCCV. „Wir und auch der DCCV verfügen über ein großes Netzwerk über Stadtgrenzen hinaus.“ Infos zur Medikation, zum Stand der Forschung, Ansprechpartner - „für Betroffene ist es wichtig, dass sie eine gute und kompetente Beratung haben.“ Bei Colitis ulcerosa, die Krankheit betrifft den Dickdarm, sei eine Diagnose meist schnell möglich. Bei Morbus Crohn laufe es häufig über eine Ausschlussdiagnose. „Die Ursachen für einen Ausbruch sind noch nicht richtig erforscht.“

Jeden zweiten Mittwoch im Monat

Die Hagener Gruppe trifft sich üblicherweise - wegen Corona aktuell nicht - jeden zweiten Mittwoch im Monat. Entweder in einem Gruppenraum in der Bahnhofsstraße oder einem Hagener Lokal. „Unsere Arbeit geht aber über die Treffen hinaus“, erklärt Kai Otto. So mache die Gruppe auch Krankenhaus- oder Hausbesuche, wenn es einem Betroffenen schlecht geht. Denn die Krankheiten verlaufen in Schüben. „Für viele Außenstehende ist nicht nachvollziehbar, wie es Erkrankten geht.“

Ein Gang in die Stadt? „Im Schub nicht möglich. Es muss immer und überall eine Toilette in der Nähe sein.“ Neben körperlichen Beschwerden und Schmerzen wiege auch die psychische Belastung stark. „Da kann dann der Austausch helfen.“

Kontakt zur Gruppe über Martina Müller (muellermawo@web.de) oder Kai Otto (hagen@shg-dccv.de).

Urlaub ist schwierig, man muss an vieles denken: Hat das Hotel eine Toilette am Pool? Am Strand? Fragen, die sich die 24-Jährige vorher so nicht stellen musste. „Das gehört jetzt zu meinem Leben – und man muss das Beste daraus machen“, sagt die junge Frau und lächelt.

Wie sie das schafft? Was ihr geholfen hat? „Vor allem mein Freund Marco und meine Familie.“ Ihr Freund hat die gleiche Erkrankung.

„Wir verstehen uns. Wenn ich einen Schub habe, bringt er mir Wärmekissen und Tee. Er weiß genau, was ich dann brauche.“ Er sei mit seinem Medikament mittlerweile „gut eingestellt“, hat seit fast einem Jahr kaum Probleme. „Ich hoffe, dass es bei mir bald auch klappt“, sagt Michelle hoffnungsvoll.

Die positiven Seiten sehen

Am meisten hilft der Hagenerin ihr Freund Marco, der selbst auch Morbus Crohn hat.
Am meisten hilft der Hagenerin ihr Freund Marco, der selbst auch Morbus Crohn hat. © Privat

Eine der größten Überwindungen für sie war es, den Kollegen auf der Arbeit von ihrer Krankheit zu erzählen. „Ich hatte einfach Probleme, offen damit umzugehen. Jetzt wissen es alle.“ Dann fragt auch niemand, wenn sie mal länger weg ist.

„Ich freue mich Tag aufs Neue, wenn ich einen Tag auf der Arbeit geschafft habe, obwohl ich höllische Schmerzen habe.“ Sie wisse auch, dass viele Menschen Vorurteile haben. „Man sieht schließlich nicht, dass es mir schlecht geht Das ist ja alles innerlich.“

Sie habe auch durch einen Verein und den Austausch mit anderen Betroffenen gelernt, wie man mit der Krankheit lebt – und offen darüber spricht. „Chronisch Glücklich, eine Hagener Gruppe hat mir enorm geholfen. Auch der Austausch mit den anderen. Es ist gut zu wissen, dass man damit nicht alleine ist.“

Sie sind „Bauchfreundinnen“. Positivität ist wichtig – auch, weil negative Gedanken und Stress sich auf die Krankheit auswirken.

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Michelle will stark für sich selbst bleiben und versuchen, sich nur positive Gedanken zu machen, auch wenn das nicht immer leicht ist. Und es geht ihr darum, mehr Bewusstsein für die Krankheit zu schaffen: „Viele belächeln es und verstehen es nicht, weil sie einfach nicht wissen, was das für eine Krankheit ist, welche Schmerzen man hat und was das mit dem Körper macht.“

Und dennoch zieht sie viel Positives aus ihrer Diagnose vor zwei Jahren: „Ich genieße die schönen Tage ohne Schmerzen jetzt einfach noch viel mehr als früher. Es sind die kleinen Dinge im Leben, die glücklich machen.“