Hagen. Die Grabungen in der Blätterhöhle werden im Jahr 2021 fortgesetzt. Professor Jörg Orschiedt über die internationale Bedeutung der Höhle.
Auf spannende Zeitreisen gehen Archäologen bereits seit vielen Jahren an der bekannten Blätterhöhle in Holthausen. Immer wieder fördern die Forscher Erkenntnisse zutage, die dafür sorgen, dass ein kleiner Teil der Menschheitsgeschichte neu geschrieben werden muss. Auch international genießen die Grabungen höchstes Ansehen. Jüngster Beleg ist ein Artikel in der renomierten Fachzeitschrift „Science Advances“. Darüber sprach unsere Zeitung mit Prof. Jörg Orschiedt, der die Projekte in Hagen seit vielen Jahren begleitet.
Welche Bedeutung haben derartige Publikationen?
Prof. Jörg Orschiedt Die aktuelle Veröffentlichung von Rivollat und Kollegen in der renomierten Zeitschrift Science Advances zeigt erneut, dass die Forschungsergebnisse der Blätterhöhle in der internationalen Forschung angekommen sind. Konkret geht es um den Übergang von der jägerisch-sammlerischen Lebensweise zu Ackerbau und Viehzucht. Ein komplexer Vorgang der sich wie bereits die Forschungen an der Blätterhöhle vor mittlerweile sieben Jahren gezeigt haben, nun auch in Frankreich und anderen Regionen Deutschlands nachvollziehen lässt.
Mit welchem Interesse blickt die Wissenschaft auf Hagen?
Tatsächlich ist die Blätterhöhle aufgrund des hohen Anteils von Erbgut der Jäger-Sammler noch immer eine außergewöhnliche Fundstelle. Auch in der neuen Studie sind nur ein bis zwei neue Beispiele hinzugekommen, die eine vergleichbare Präsenz von entsprechendem Erbgut belegen lassen.
In wenigen Worten: Was ist die wichtigste Erkenntnis, die die Grabungen an der Blätterhöhle bislang gebracht hat?
Zum einen die Tatsache, dass über 1500 Jahre nach Ankunft der ersten Ackerbauern aus dem anatolischen und ägäischen Raum die jäger- und sammlerische Lebensweise noch immer existiert. Und zwar dort, wo wir Regionen vorfinden, die für die Ackerbauern noch nicht von größerem Interesse sind. Zum anderen, dass wir einen der seltenen Übergangshorizonte von Ende der Eiszeit in die klimatische Jetztzeit fassen können. Dies nicht nur klimatisch, sondern auch archäologisch an einer Fundstelle belegen zu können, ist recht selten.
Warum ist das so bedeutsam?
Bislang gab es anhand archäologischer Funde zwar Hinweise, dass so etwas wie ein langsamer Übergang in einigen Regionen existiert, jetzt kann man es über die Erbinformationen fassen. Die teilweise noch ausstehenden Untersuchungen zur Ernährungs-Rekonstruktion anhand der stabilen Isotope werden hier sicherlich noch weitere Erkenntnisse bringen.
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Hat die Corona-Pandemie auch die Forschung rund um die Blätterhöhle gebremst?
Beeinflusst, aber nicht unbedingt gebremst. Die Grabungen 2020 sind abgesagt, weil wir aufgrund der Arbeitsbedingungen den Sicherheitsabstand nicht gewährleisten können. Dafür werden wir andere Dinge erledigen, Auswertungen vorantreiben und uns mit der Datenbank befassen – Arbeiten, die wir bislang hinten anstellen mussten.
Wie geht es an der Blätterhöhle weiter?
Wir wollen die Grabungen, die für 2020 geplant waren im Jahr 2021 nachholen. Danach planen wir das Grabungsareal zu verlagern, da wir aufgrund der erreichten Tiefe an dieser Stelle aus Sicherheitsgründen nicht weiterarbeiten können. Die Grabungen in der Höhle werden davon nicht betroffen sein und können ab 2021 hoffentlich ebenfalls weitergehen.
Welche Funde erwarten Sie dort noch?
Wir hoffen auf weitere Funde des späten Paläolithikums (Altsteinzeit) und hoffentlich auch entsprechende Feuerstellen.
Warum wird diese Fundstelle auch nach so vielen Jahren nicht langweilig?
Weil immer wieder interessante Funde und neue Fragestellungen auftauchen.
Wie viele Grabungskampagnen betreuen Sie parallel? Worum geht es dabei?
Ich betreue die Grabungen vor Ort schon seit einigen Jahren nicht mehr aktiv. Die örtliche Grabungsleitung hat Wolfgang Heuschen, in Zusammenarbeit mit der LWL Archäologie mit Michael Baales. Ich bin mittlerweile als Referent für Anthropologie am Landesamt Sachsen-Anhalt tätig und habe andere Aufgaben unter anderem auch mit Lehrtätigkeiten an den Universitäten Berlin und Mainz. Ich betreue zudem verschiedene Forschungsprojekte, von denen eines die Blätterhöhle ist, die mich nun schon seit 15 Jahren begleitet.
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Wie können Städte wie Hagen wissenschaftliche Erkenntnisse auch für sich nutzen?
Hagen hat ein ur- und Frühgeschichtliches Museum im Wasserschloss Werdringen. In der jüngst erneuerten Ausstellung wurde der Blätterhöhle ein eigener Raum gewidmet. Die laufende Forschung wird auch diese Ausstellung beeinflussen, Objekte und Informationen werden hinzukommen, ausgetauscht werden oder zeitweise, wenn sie erneut untersucht werden müssen, auch einmal verschwinden. Die Blätterhöhle ist Teil der Stadtgeschichte und Teil der Geschichte einer Region und ihre Präsenz in der Forschung und den Medien trägt auch zur Identifikation der Menschen mit ihrer Heimat bei.