Hagen. In der Corona-Krise gibt es viele Hürden zu bewältigen. Auch für die Hagenerin Annette Lorenz und ihre behinderte Tochter Monja (12).

Monja (12) sitzt in ihrem Rollstuhl im Wohnzimmer und schaut gespannt einen Film. Eigentlich würde sie in die Schule gehen, doch aufgrund der Corona-Krise ist das nicht möglich. Denn Monja ist zu 100 Prozent körperlich und geistig behindert. Das kleine Mädchen leidet zusätzlich an Epilepsie. Die enormen Hygieneauflagen und Abstandsregelungen machen es ihr quasi unmöglich zur Schule zu gehen. „Sie kann einfach keinen Mundschutz tragen, den reist sie sich vom Kopf“, erzählt ihre Mutter Annette Lorenz. Zwar versuche die Förderschule, die Monja in der Regel besucht, den Unterricht wieder starten zu lassen, doch es klappe einfach nicht, sich an alle Auflagen zu halten. „Wann Monja wieder zur Schule kann, wissen wir nicht. Die Lehrer versuchen alles, aber ihnen sind eben auch die Hände gebunden.“

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Kein Einlass in Supermarkt

Während die alleinerziehende Mutter über ihre aktuelle Situation spricht, spürt man ihre Anspannung. „Natürlich ist das eine Herausforderung für mich, das ist es jeden Tag. Aber durch Corona wird mein Nervenmantel so langsam noch dünner.“ Wie behinderte, insbesondere schwerstbehinderte Menschen, sich in Zeiten von Corona verhalten sollen oder müssen, werde nicht angesprochen. „Dafür gibt es einfach keine Richtlinien.“ Und das führt häufig zu Problemen. Die 49-Jährige hat sogar schon erlebt, dass sie nicht in einen Supermarkt hereingelassen­ wurde. „Dadurch, dass ich meine Tochter nicht allein lassen kann, nehme ich sie in letzter Zeit oft zum Einkaufen mit.“ Doch genau da liegt dann die nächste Hürde: Einen Einkaufswagen und Rollstuhl gleichzeitig schieben ist der Mutter nicht möglich. Genau so wenig, wie ihrer Tochter einen Mundschutz aufzusetzen. „Ich bin es einfach leid, mich jedes Mal erklären zu müssen.“ Zwar zeigen die meisten danach Verständnis und Einsicht, lassen beide in die jeweiligen Geschäfte, aber es ist „einfach anstrengend“. Ebenso in der Innenstadt. „Mittlerweile traue ich mich kaum noch mit Monja irgendwo hinzugehen.“

Durch die Einschränkungen der 12-Jährigen fasst sie häufig etwas an. „Da wird man manchmal blöd angemacht“, sagt die 49-Jährige und man merkt, wie sehr ihr das Thema zu schaffen macht. Sie versuche immer wieder, ihrer Tochter die Hände zu desinfizieren und achte sehr auf die Hygiene. „Ich möchte ja auch nicht, dass wir uns mit irgendetwas anstecken, geschweige denn andere.“

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Ausführliche Informationen fehlen

Dasselbe Problem bestehe auf Spielplätzen. „Hier gibt es kaum behindertengerechte Spielplätze und auf den normalen werde ich meistens doof angeguckt.“ Die Folge des Ganzen: Beide verbringen die meiste Zeit zuhause, schauen einen Film oder Fernsehen.

Annette Lorenz fühlt sich allein gelassen, ihr sind die Hände gebunden. „Man weiß irgendwie gar nicht so richtig, was man mit seinem Kind jetzt machen darf und was nicht.“ Sie wünscht sich einfach nur eine ausführliche Aufklärung und Informationen. Doch vergebens – bis heute weiß keiner so richtig, welche Auflagen für schwerstbehinderte Menschen gelten und welche nicht.

Annette Lorenz schöpft Hoffnung aus den Aussagen der Lehrer. „Sie versuchen wirklich alles, damit die Kinder bald wieder am Unterricht teilnehmen können.“ Denn nicht nur für ihre Tochter ist es eine harte Zeit. „Monja ist total quengelig, natürlich ist ihr langweilig, aber ich kann ja nichts tun. Und dadurch, dass sie eine 24-stündige Betreuung und Pflege benötigt, kann ich auch nichts anderes machen.“ Annette Lorenz ist nicht die einzige, die mit solchen Problemen zu kämpfen hat.

Mehr Unterstützung gewünscht

Auch Vanessa Zlatic ist Mutter von zwei behinderten Kindern. „Wir wohnen hier zum Glück in einem Haus mit großem Garten, aber viel mehr als uns hier aufzuhalten, können wir eben auch nicht machen“, sagt Vanessa. Sie wünscht sich, genau wie Annette, mehr Informationen, mehr Unterstützung und einfach, dass die behinderten Kinder und Jugendlichen nicht in Vergessenheit geraten. „Irgendwie werden wir so außen vorgelassen. An alle wird gedacht und über alle wird gesprochen, nur über unsere Kinder nicht.“

Die Schule der Kinder

Die Kinder von Vanessa Zlatic und Annette Lorenz besuchen dieselbe Förderschule in Volmarstein.

Ein Schülerspezialverkehr bringt Monja in der Regel zur Schule und wieder nach Hause.

Beide Mütter hoffen, dass schon bald wieder etwas Normalität einkehren kann.

Clara Berwe, Sprecherin der Stadt Hagen, hält es für selbstverständlich, dass niemand darauf pochen würde, dass behinderte Menschen eine Maske tragen müssen. Allerdings gibt es in Hagen keine speziellen „Extra-Regelungen“. „Wie von der Bundesregierung beschlossen, müssen Menschen unter gewissen Voraussetzungen auch in Hagen keine Maske tragen“, sagt Berwe. Allerdings könne jeder Geschäftsinhaber letztendlich selbst entscheiden, wen er in sein Geschäft hereinlässt und wen nicht.