Hagen. . Eltern und Krankenkasse haben Ärzteteam und Krankenhaus in Hagen wegen möglicher Fehler verklagt. Klinik lehnt Zahlung von drei Mio. Euro ab.

Mögliche Fehler in der Geburtshilfe könnten für ein Hagener Krankenhaus bald zu einer millionenschweren Belastung werden. Erst der Fall um die Schwerbehinderung eines heute vierjährigen Mädchens, das bei seiner Geburt im August 2013 schwerste Hirnschäden davongetragen hat – seit Mittwoch wird am Landgericht eine weitere Tragödie mit fatalen Folgen aus derselben Geburtsstation verhandelt. Gleich zu Beginn des Zivilverfahrens lehnte die Klinik ab, sich auf die Zahlung von drei Millionen Euro zu einigen.

Auch interessant

Betroffen ist neben dem Krankenhaus wieder dieselbe Ärztin (56), die Mitte Januar vom Amtsgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung zu 19 200 Euro Geldstrafe (120 Tagessätze) verurteilt worden war. Zudem sind sieben weitere Mediziner aus dem Ärzteteam verklagt. Deren Anwältin, Dr. Carolin Wever (Hamm), entschuldigte sich bei den Klägern: „Ich möchte betonen, dass es uns aufrichtig leid tut, für Sie und auch Ihr Kind.“

Leiden kaum vorstellbar

Die Leiden des heute vierjährigen Mädchens, das in der Nacht zum 30. Januar 2014 zur Welt kam und das Leid seiner Eltern aus Haspe sind kaum vorstellbar. Das schwerstbehinderte Kind hat einen hypoxischen Hirnschaden (3. Grades), spastische Bewegungsstörungen, muss regelmäßig umgelagert werden und kann nicht einmal selbstständig schlucken. Deshalb ist zeitlebens eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung notwendig. Die Kosten dafür werden in die Millionen gehen. Auch die AOK Nordwest fordert deshalb bereits gerichtlich ihre Regressansprüche ein.

Vor der 2. Zivilkammer schilderte die Mutter (37), dass man ihr im Klinik-Aufnahmegespräch nach einer Ultraschalluntersuchung erklärt habe, „das Kind wiege etwa 3500 Gramm“ und es sei „alles in Ordnung mit der Kleinen“. Dann habe man ihr eine Tablette zur Einleitung der Geburt verabreicht.

Säugling steckte fest

Zunächst setzten starke Schmerzen und die Wehen ein. Als die Schmerzen schlimmer wurden, hätte sie den Arzt gefragt, ob es nicht besser sei, einen Kaiserschnitt zu machen. Das streitet der junge Assistenzarzt, der einen Monat zuvor erst seine Stelle angetreten hatte, jedoch ab: „Über einen Kaiserschnitt haben wir nicht gesprochen.“

Stattdessen wurde die werdende Mutter, als ihre Schmerzen schon unerträglich waren, in eine Wanne gesetzt. Um 23.18 Uhr kam das Köpfchen des Neugeborenen zum Vorschein, doch plötzlich steckte der Säugling, der mit nahezu fünf Kilo Gewicht 1300 Gramm schwerer war als vorausberechnet, im Mutterleib fest: Schulterdystokie.

Wertvolle Zeit verstrichen

„Eine lebensgefährliche Situation“, so Gutachter Dr. Klaus-Dieter Jaspers (60), „der komplette Stopp der Versorgung des Kindes war eingetreten. Darauf muss eigentlich jede Klinik eingestellt sein: Wie kann ich sicherstellen, dass ich das Kind spätestens nach zehn Minuten draußen habe? Die Eieruhr läuft.“

Doch in der Geburtenabteilung vergingen noch wertvolle Minuten, bis dort um 23.32 Uhr zum roten Telefon gegriffen und ein anderes Krankenhaus zur Hilfe gerufen wurde. Das Team mit dem Babynotarzt traf um 23.51 Uhr ein. Bis am nächsten Morgen gegen 11 Uhr wurde es ein Kampf zwischen Leben und Tod.

Der Prozess wird fortgesetzt.

>>Hintergrund: Sinkende Geburtenzahlen

  • Das tatsächlich „rote Telefon“ befindet sich im betroffenen Krankenhaus auf der Geburtsstation. Es ist dafür gedacht, im Notfall die Spezialisten der Kinderklinik am Allgemeinen Krankenhaus anfordern zu können.
  • Die Geburtsabteilung des verklagten Krankenhauses wird Ende März geschlossen. Hauptgründe sind nach Angaben der Klinikleitung, dass nicht ausreichend Hebammen vorhanden sind sowie sinkende Geburtenzahlen.