Emst. 150 Besucher kamen ins Heinrich-König-Haus, wo Schüler am Beispiel von Emster Opfern und Tätern die Zeit des Nationalsozialismus greifbar machten.

Sechs Millionen Menschen wurden während des Holocausts ermordet – diese Zahl ist bekannt und doch kaum vorstellbar. Das Leid der getöteten Juden, Kommunisten, Behinderten und Andersdenkenden scheint oft weit weg, bleibt anonym und wenig konkret.

Unter dem Titel „Emst unterm Hakenkreuz“ machten am Donnerstagabend Schüler des Rahel-Varnhagen-Kollegs und mehrerer Grundschulen das Leiden während der Zeit des Nationalsozialismus am Beispiel zahlreicher Emster Opfer und Täter greifbar. Rund 150 Zuschauer kamen dazu im Heinrich-König-Haus neben der Emster Heilig-Geist-Kirche zusammen.

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Schon dieser Ort hat einen besonderen Hintergrund: Heinrich König war Priester auf Emst und positionierte sich deutlich gegen das nationalsozialistische Regime. Er wurde schließlich im Konzentrationslager Dachau eingesperrt und starb 1942 an den Folgen eines Menschenversuches: NS-Ärzte führten bei König absichtlich eine Blutvergiftung herbei und ließen diese unbehandelt.

Schauerliche Erzählungen

Es sind solche schauerlichen Erzählungen, die mehr als 75 Jahre zurückliegende Geschichte konkret werden lassen. Pablo Arias ist Geschichtslehrer am Hagener Rahel-Varnhagen-Kolleg (RVK) und hat vor anderthalb Jahren einen freiwilligen Projektkurs ins Leben gerufen, der sich mit Schicksalen wie dem von Heinrich König befasst. Arias hält es für elementar, Geschichte nicht nur „faktenbasiert und theoretisch zu betrachten“.

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Besonders bei einem so schwer vorstellbaren und emotionalen Thema wie dem Holocaust zählen für ihn konkrete Bezugspunkte und bekannte Orte: „Die Schüler sind besser zu erreichen, wenn es um die Geschichte ihrer Stadt geht. Das wird man eher emotional und empathisch“, ist sich Arias sicher.

Bei ihren Recherchen interviewten die Schüler Emster Bewohner, besuchten geschichtsträchtige Orte in ihrer Umgebung und befragten sogar Zeitzeugen in ihrer Schule. Nach einem Jahr Arbeit fassten sie ihre Erkenntnisse in einer Broschüre zusammen.

Flucht in die USA

Auch Viertklässler der Grundschule Emst haben sich mit dem Schicksal eines Hagener Juden befasst. Sie berichteten vom Lebensweg des Emster Arztes Dr. Ernst Georg Wolf, der von der NSDAP so unter Druck gesetzt wurde, dass er seine Praxis zurücklassen musste und in die USA floh. Viertklässler Ole wohnt heute im ehemaligen Haus des Juden Wolf und hat bei seiner Recherche besonders eines mitgenommen: „Wir dürfen die brutalen und grausamen Verbrechen der Nazis nie vergessen.“

Schließlich gab es in Hagen auch Anhänger des Nazi-Regimes. So stellten die RVK-Schüler heraus, dass der 1921 verstorbene Karl-Ernst-Osthaus schon vor Gründung der NSDAP antisemitische, antidemokratische und rassistische Positionen vertrat. Auch der damalige Hagener Oberbürgermeister Heinrich Vetter war bis zu seinem Tod 1969 bekennender Nazi. Das durch Menschen wie Vetter verursachte Leid visualisierten die Schüler mit Bildern: Portraits von Widerständlern und Opfern, Fotos von Wohnhäusern und markanten Orten wie dem Emster Wasserturm, auf dem zur NS-Zeit ein Hakenkreuz prangte.

18-Jähriger ermordet

Während und nach Ende der Nazi-Zeit wurden in Hagen 50.000 Flüchtlinge aufgenommen.

Der letzte Hagener, der von den Nazis ermordet wurde, war Eduard Dunker. Der 18-jährige Soldat wurde am 12. April 1945, kurz vor Ende des Krieges, auf Emst ermordet, weil er während seiner Dienstzeit seine Mutter besucht hatte.

Die Mittel der Nationalsozialisten – systematische Vereinheitlichung, Anonymisierung und Pauschalisierung – sollten Opfern ihre Identität und Individualität rauben. Die Hagener Schüler stellten genau diese Einzelschicksale in ihren Beiträgen in den Mittelpunkt und unterlegten damit abstrakte Zahlen und Fakten mit menschlichen Geschichten und greifbaren Hintergründen, um am Ende ihre wichtigste Botschaft deutlich zu machen: „Nie wieder.“