Hagen. Zum ersten Mal überhaupt sind die Schätze des Osthaus-Museums in Hagen in einer großen Ausstellung zu sehen. Wir haben die Schau bereits besucht

Das Auge kann sich nicht sattsehen. Zuerst die sechs Kirchners? Oder lieber doch der Kandinsky? Oder der wunderbare große Macke? Jedes dieser Meisterwerke ließe sich zum Mittelpunkt einer eigenen Ausstellung machen. Jetzt sieht man sie alle zusammen. Die Hagener Expressionisten sind zurück. Nach jahrelanger Tournee durch die Kunstmuseen Europas zeigt das Osthaus-Museum seine Schätze nun zum ersten Mal überhaupt zusammen in einer überwältigenden Schau.

Es handelt sich um eine der schönsten Sammlungen zur frühen Moderne in Deutschland – und Museumsdirektor Dr. Tayfun Belgin hat die über 110 Arbeiten so gehängt, dass sie eine Fülle von Erkenntnisgewinn ermöglichen.

Ein völlig kaputter Typ in Hagen

Ernst Ludwig Kirchner blickt auf dem großen Porträt Erich Heckels nicht wie ein erfolgsverwöhnter Maler au

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s der Leinwand, sondern wie ein völlig kaputter Typ. Das ist er im Jahr 1917 auch. Kirchner meldet sich 1914 mit viel Hurra freiwillig an die Front, erleidet aber nach wenigen Monaten einen Nervenzusammenbruch und wird morphiumsüchtig. Heckel besucht ihn im Sanatorium und schafft das bekannte Porträt, das als Scharnierwerk der Ausstellung gelten kann.

Denn Kirchner, Heckel und die anderen Freunde aus der „Brücke“ starten mit flüssig-leichtem Pinselstrich und den heiteren Motiven, die das Publikum heute so liebt. Sie gehören den neuen Lebensreformbewegungen um 1900 an, sie fahren in die Sommerfrische ans Meer, wo sie Fischerboote und nackte Badende auf die Leinwand bannen. Nach dem Ersten Weltkrieg tritt die Alltagsrealität mit ihren sozialen Spannungen stärker ins Bild. Jetzt wird der Expressionismus existenziell. Max Pechstein malt Akrobaten und rauchende Jockeys, also Leute der Unterschicht, statt Fabrikanten-Gattinnen.

Extreme soziale Verwerfungen

Die unbeschwerten Badeszenen werden abgelöst von Kriegsversehrten, hungernden Müttern und Momentaufnahmen extremer sozialer Verwerfungen. Nun kommt die zweite Expressionisten-Generation zu Wort, Käthe Kollwitz, Otto Dix, Paula Modersohn-Becker.

Das Schicksal der Hagener Kunst spiegelt die Katastrophen unserer Zeit. Denn was heute an der Wand hängt, ist bereits die dritte Sammlung. Der Kunstpionier und Mäzen Karl Ernst Osthaus stellte schon 1907 die Brücke-Künstler in Hagen aus. Sein Museum Folkwang wurde von den Erben nach Essen verkauft, Hagen konnte die geforderte Summe trotz aller Anstrengungen nicht aufbringen. Die zweite Sammlung plünderten die Nazis. Nach 1945 gelang es Herta Hesse-Frielinghaus, den Idealen von Osthaus folgend, eine neue Sammlung aufzubauen, die mit ihren exquisiten Solitären auch dem engagierten Kunstfreund noch ungeahnte Einblicke ermöglichen kann.

Ein bisschen zu oft ausgestellt

Dazu gehören Werke der Vertreter des Blauen Reiters, die eine andere künstlerische Richtung einschlagen als die Brücke-Maler, ihr Ziel gilt „der Spiritualisierung von Farbe und Form zu harmonischen Klängen“, so Museumsdirektor Belgin. Die „Barbarenfürstin“ von Alexej von Jawlensky wird zum Gesicht der Ausstellung; die „Komposition III“ von Franz Marc gehört zu den bedeutendsten Arbeiten des ganzen Konvoluts, weil sie den Übergang vom Figürlichen zum Abstrakten markiert. Das außergewöhnlich schöne Kandinsky-Aquarell „Ohne Titel (Komposition mit Trojka-Motiv)“ gesellt sich im Grafik-Kabinett zu Papierarbeiten von Paul Klee und Wilhelm Morgner, weil es so lichtempfindlich ist, „der Kandinsky ist leider von meinem Vorgänger ein bisschen zu oft ausgestellt worden“, sagt Belgin.

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Seit die Hagener Expressionisten 2015 ihre Reise antraten, hat sich in der Kunstgeschichte einiges getan. Emil Nolde, der sich selbst nach 1945 als Galionsfigur des einsamen Künstlers im Widerstand gegen den Nationalsozialismus inszenierte, war nach neuer Forschung in Wahrheit ein Hitler-Verehrer und Antisemit, der sich dem Regime in erschütternder Bereitschaft zur Denunziation von persönlichen Freunden andiente. Hagen besitzt 16 Arbeiten von Nolde, darunter vier Ölgemälde. Im Wandtext der Ausstellung wird thematisiert, wie der Maler sich gegenüber den Machthabern korrumpierte – und dass ihm das gar nichts nutzte, denn Goebbels konnte seine Bilder trotzdem nicht leiden. Dr. Christian Ring, Direktor der Nolde-Stiftung Seebüll, wird darüber am 21. April sprechen.

Plünderung durch die Nazis

Gegenüber von Nolde bewundert der Betrachter die glühenden Arbeiten von Christian Rohlfs, der wie Nolde mit dem Ehepaar Osthaus befreundet ist und seit 1901 auf Einladung von Osthaus in Hagen lebt und arbeitet. Im Jahr 1906 treffen sich Rohlfs und Nolde bei einem Studienaufenthalt in Soest. Auch Rohlfs wird als entartet diffamiert und aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen, dem Bildersturm der Nazis in Hagen fallen Hunderte seiner Gemälde zum Opfer. Er reagiert darauf allerdings nicht mit Unterwerfung, sondern mit einem knappen Brief nach Berlin: „Anerkennung oder Ablehnung machen mein Werk weder besser noch schlechter.“

Die Ausstellung „Expressionisten. Aus der Sammlung“ ist vom 2. Februar bis zum 3. Mai im Hagener Osthaus-Museum zu sehen. Die Eröffnung beginnt am 1. Februar um 16 Uhr. www.osthausmuseum.de