Hagen. Herbert Shenkman wuchs in Hagen auf, wurde deportiert und entkam aus dem Vernichtungslager Auschwitz. Er starb am 15. Dezember in Berlin.
Er war ein Mann deutlicher Worte. Auch als wir ihn 2012 zu einem großen Interview getroffen haben. „Getötet ist nicht das richtige Wort“, sagte Herbert Shenkman damals, „die Menschen sind ermordet worden, sie sind verreckt.“
Gesprochen hat er so deutliche Worte auch immer wieder in Hagener Schulen. Seine Worte hallen nach. Herbert Shenkman allerdings wird sie nicht wiederholen können. Der wohl letzte Holocaust-Überlebende, der in Hagen aufgewachsen ist, ist am 15. Dezember im Alter von 95 Jahren in Berlin gestorben und an seinem 96. Geburtstag fünf Tage später beigesetzt worden. Seine Frau Gabi fürchtete, dass nicht einmal zehn Männer, die es in einem jüdischen Gottesdienst braucht, der Trauerfeier beiwohnen würden. Ihr Hilferuf per Facebook erreichte schließlich Tausende.
Schulbesuche für jüdische Kinder ab 1937 verboten
Shenkmann wurde am 20. Dezember 1923 in Hagen geboren. Als er drei Jahre alt war, starb sein Vater. Bei der Mutter und den Großeltern wuchs er in der Stresemannstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs auf. Er besuchte einen christlichen Kindergarten in Wehringhausen. Eingeschult wurde er an der jüdischen Volksschule ab der Potthofstraße, dort, wo sich heute die Synagoge der Jüdischen Gemeinde befindet. Später wechselte er an die Mittelschule Altenhagen.
Ab 1937 aber ist es jüdischen Kindern verboten, Schulen zu besuchen. Herbert Shenkman beginnt eine Vorlehre als Schlosser in Köln, erlebt hier in einer Pension die Reichspogromnacht. „Meine Mutter war an jenem Tag zu mir gekommen und hatte mich gewarnt, nach Hagen zurückzukehren. Mein Onkel, der als Zahnarzt in Priorei arbeitete, musste fliehen, als die Gestapo an seine Tür klopfte. Sie glaubte nun, dass es die Gestapo als nächstes auf mich abgesehen hätte.“
Bauunternehmer bewahrt Shenkman zunächst vor Deportation
Nach seiner Rückkehr nach Hagen arbeitet Herbert Shenkman als Hilfsarbeiter beim Bauunternehmen Reiß in Delstern. Mehrfach gelingt es seinem Chef, ihn vor der Deportation zu bewahren, weil der den Nationalsozialisten erklärt, dass Shenkman unabkömmlich sei. 1940 wird er gezwungen, die eigene Wohnung zu verlassen und in ein Judenhaus an der Potthofstraße zu ziehen. Am 30. Juli 1942 kann auch sein Chef ihn nicht mehr retten.
„Die Potthofstraße ist an diesem Tag eigens gesperrt worden“, erzählte Shenkman. „Ich bin trotzdem noch in Richtung Markt. Dort habe ich einen Bekannten getroffen, der nur meinte, dass wir doch in sechs Wochen alle wieder da seien. Was wirklich auf uns zukam, haben wir nicht gewusst. Bevor wir deportiert wurden, mussten wir unterschreiben, dass wir aufgrund kommunistischer Umtriebe auf unser Vermögen verzichten. Das war legalisierter Raub.“
Eine Lüge rettet ihn in Auschwitz
Auch interessant
Von Theresienstadt, wo er unter anderem als Bäcker arbeitete, ging es für Shenkman im Herbst 1944 weiter nach Auschwitz. „Bei der Selektion am Vernichtungslager habe ich behauptet, ich wäre als Fräser und Dreher ausgebildet“, so Shenkman, „vielleicht hat mir diese Lüge das Leben gerettet. Fachkräfte wurden tatsächlich gesucht.“ Also kam er nach Buchenwald, arbeitete in einem Außenlager des Konzentrationslagers, produzierte Bauteile für Panzerfäuste.
Im April 1945 wurde das Lager aufgelöst. Die Häftlinge wurden in Viehwaggons gepfercht und in Richtung tschechischer Grenze gebracht. „Ich habe eine Gelegenheit zur Flucht genutzt“, erzählte Shenkman, „ein Wachmann hat auf mich geschossen. Ich bin zusammengesackt. Die Kugel steckte zwischen Herz und Lunge. Tschechische Zivilisten haben mich versorgt.“
Einsam im Alter
Im Hohen Alter lebte Herbert Shenkman zusammen mit seiner zweiten Frau Gabi in Berlin. Weil der 95-Jährige viele seiner Freunde überlebt hatte und weil fast die ganze Familie von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurde, fürchtete seine Frau, dass nicht einmal die für einen jüdischen Gottesdienst geforderten zehn Männer zur Trauerfeier erscheinen würden. „Ich habe das an Freude auf Facebook geschrieben und sie gebeten, doch zu kommen“, sagt Gabi Shenkman. „Ein Freund hat das geteilt, so dass diese Botschaft tausende erreicht hat.“ Am Ende kamen 30 Menschen zu seiner Beisetzung nach Charlottenburg-Wilmersdorf.