Hohenlimburg. Wie steht es um die Schwulen- und Lesben-Szene in Hagen? Sie sei isoliert, sagt Jessica Lübbers. Und sie will dringend etwas dagegen tun.
Die Szene vergreise, sagt Jessica Lübbers. Sie selbst ist 38 und liebt Frauen. Anfang Oktober hatte sie im Werkhof die Schwulen- und Lesbenparty „Rainbow“ veranstaltet. Es kamen nicht mal 40 Leute. Dabei, so sagt Lübbers, sei die Szene groß. Allein in Hohenlimburg schätze sie den Anteil an Menschen, die schwul, lesbisch, bisexuell oder noch ganz anders orientiert seien, bei einer vierstelligen Anzahl. Dass das homosexuelle Netzwerk sich komplett ins Internet verlagere und die großen Partys nur in Metropolstädten stattfinden, werfe Orte wie Hohenlimburg und Hagen gesellschaftlich um Jahre zurück.
„Es ist ärgerlicherweise die wichtige mittlere Generation von 25 bis 50, die durch Szenetreffs und Partys vor Ort wohl abgeschreckt wird“, sagt Jessica Lübbers, die mit uns einen Kaffee in einem Bistro an der Freiheitstraße trinkt. „Das sind immer noch negative Auswirkungen aus den 80er- und 90er-Jahren, als die Szene komplett unter sich blieb und sich fälschlicherweise der Ruf entwickelt hat, dass jeder mit jedem unterwegs sei und man nur unter sich bleiben wollte.“
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Das Internet sei eine riesige Bereicherung für Homsexuelle geworden. „Aber dadurch gehen die meisten auch nicht mehr raus und pflegen den Kontakt von Mensch zu Mensch. Das klassische homosexuelle Date gibt es in der Szene und in der allgemeinen Öffentlichkeit nicht mehr.“ Es sei paradox: Aber obwohl Schwule und Lesben über das Internet millionenfach und blitzschnell vernetzt seien, sorge genau das auch für ihre, wenn man so will, stadtgesellschaftliche Isolation.
„Man sieht sie weniger, sie treffen sich weniger. Dadurch machen wir Rückschritte in der Gesellschaft, die doch 2019 eigentlich schon viel toleranter sein müsste“, sagt Lübbers.
Outing mit 24 Jahren
Sie selbst hat sich mit 24 Jahren geoutet. Da lebte sie noch in ihrem 500-Seelen-Heimatdorf in Schleswig-Holstein. Vater und Mutter reagierten zunächst gut, irgendwie liberal. Doch Lübbers hatte bereits einen Sohn aus einer heterosexuellen Vorbeziehung. Dieser Sohn, der die private Orientierung seiner Mutter laut Jessica Lübbers zu 100 Prozent toleriere, ist letztlich aber der ausschlaggebende Punkt, warum die Beziehung zwischen Tochter und Eltern später zerbricht. „Meine Eltern sind der Auffassung, dass das Kindeswohl durch die Homosexualität der Mutter gefährdet sei.“ Jessica Lübbers blickt einen kurzen Moment starr auf ihre Kaffeetasse. „Dabei gibt Tausende heterosexuelle Eltern da draußen, die ihre Kinder so fürchterlich behandeln und niemand fragt zum Beispiel danach.“
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Seit 2014 ist sie in Hohenlimburg. In Hagen arbeitet sie als Erzieherin in der Jugendhilfe. „Ich versuche seither, die homosexuelle Szene in Hagen anzukurbeln. Aber es ist unglaublich schwer.“ Viele potenzielle Partner schrecke dieses Szene- oder Communitydenken ab, sagt Lübbers. „Viele wollen ihre sexuelle Orientierung versteckt halten. Aber so bin ich nicht. Man ist auch nicht stigmatisiert, nur weil man sich gerne mit echten Menschen vernetzen will. Das hat doch nichts mit Sex oder irgendwelchen wilden Orgien zu tun. Es ist doch nur ein Ausdruck von einem Miteinander von Menschen, die ähnlich denken.“
Vor allem für Männer sehr schwer
Lübbers weiß: Vor allem bei den Männern in Hohenlimburg und Hagen wird sie es schwer haben. Es sei gesellschaftlich relativ einfach, als lesbische Frau beispielsweise seinem Job nachzugehen. „Dass Frauen Frauen lieben, ist gesellschaftlich anerkannt. Oft wird es einfach nur mit Zustimmung betrachtet, zum Beispiel durch viele Männer. Bei Männern ist das anders. Für sie ist offenes Schwulsein ein sozialer Rückschritt, der vieles verbauen kann. Dabei muss man sich mal vor Augen halten: Es geht schlichtweg nur um Sexualität und private Zwischenmenschlichkeit. Das ist für den Job oder andere Dinge völlig zweitrangig.“
Lübbers bleibt dran: „Ich gebe meinen Traum von einem regelmäßigen Szenetreff in Hohenlimburg nicht auf. Da braucht man mir auch nicht zu sagen, dass sowas doch gerade in Hohenlimburg nicht gehen könne. Es gibt Tausende Orte, die gesellschaftlich so sind wie Hohenlimburg. Ich werde versuchen, in einem halben Jahr wieder eine Party im Werkhof zu veranstalten. Ich sehe ja, wie stark die Szene bereit ist, zu großen Partys nach Bochum und Dortmund zu fahren, dann wird es auch hier gehen. Ich träume von einem kleinen, eigenen Christopher-Street-Day in Hohenlimburg.“
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