Hagen/Breckerfeld. Edgar Wehrle kennen Egerländer-Fans ebenso wie Posaunenchor-Bläser. Vor seinem Ruhestand packt der Soloposaunist aus und erinnert sich

Edgar Wehrle ist gewiss der bekannteste Musiker der Region. Der Soloposaunist der Hagener Philharmoniker liebt Wagner und Beethoven ebenso sehr wie Marsch und Polka. So hat er ein Musikerleben lang bewiesen, dass die Trennung von sogenannter Hochkultur und Volksmusik Unsinn ist. Ob Frack oder Batzerlstrümpfe, es zählt alleine die Qualität, nicht das Etikett. Nach 36 Jahren spielt Edgar Wehrle am Dienstag sein letztes Sinfoniekonzert in Hagen, und zwar Tschaikowskis Vierte. In diesem großen Werk haben die Posaunen viel zu tun. Das passt zum Auftakt eines Ruhestandes, der ganz bestimmt nicht ruhig wird.

„Mein Lehrer hat immer gesagt: Besser Soloposaunist in einem B-Orchester als zweite Posaune in einem A-Orchester“, erinnert sich Edgar Wehrle. Dieses Ziel hat der 63-Jährige schon jung erreicht. Seit fast vier Jahrzehnten führt er bei den Hagener Philharmonikern die Posaunen-Sektion an. Zusammen mit seiner Frau hat er in Breckerfeld ein Häuschen gebaut und zwei Kinder groß gezogen. „Ich habe Hagen nie bereut“, zieht der Musiker zufrieden Bilanz. „Und wir fühlen uns dort oben in Breckerfeld sehr wohl.“

Edgar Wehrle ist in der Musikvereinsszene groß geworden. „Ich hatte überhaupt keine Ahnung von der Theorie. Ich hatte nie von a-Moll gehört. Aber ich konnte alles spielen.“ Wie viele Blechbläser ist er über die Militärmusik zur Profilaufbahn gekommen. Im heimatlichen Bad Bellingen im Markgräflerland sitzt er schon als Junge am Tenorhorn, besteht mit 20 die Aufnahmeprüfung beim Ausbildungsmusikcorps der Bundeswehr in Hilden. „Für mich war das toll. Ich komme ja vom Dorf, und plötzlich hast Du lauter Gleichgesinnte um Dich herum, die auch sehr gut spielen. Das war für mich eine neue Welt.“

Zwölf Stunden Üben am Tag

Über Hilden besteht die Chance, an der Musikhochschule Düsseldorf zu studieren. Nur was? Die Möglichkeiten des Tenorhorns sind begrenzt. Also startet Edgar Wehrle noch einmal neu und lernt parallel Posaune. „Ich konnte keinen Bassschlüssel lesen, aber ich habe jeden Tag acht bis zwölf Stunden lang geübt. Ich habe die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, weil ich wusste, so etwas kriegst Du nie wieder.“

Der Breckerfelder ist Musiker durch und durch. Die Töne fliegen ihm nur so zu. Wo andere sich quälen, spielt er vom Blatt. „Fledermaus“ und „Zauberflöte“ sind die Opern, die er am häufigsten auf dem Dienstplan stehen hatte, „und immer wieder gerne. Wir haben da zwar ganz wenig zu tun, aber das ist schön“. In vielen Opern haben die Posaunen schon mal eine halbe Stunde Pause. Dann dürfen sie raus aus dem Orchestergraben. Das klappt nicht immer unfallfrei. „Einmal, das war unter GMD Michael Halász, hat der Kollege das Standbecken mit dem Fuß umgestoßen, das gab einen unglaublichen Krach. Seither stand in den Noten: Posaunen sitzen bleiben.“

Die Harfe wecken

Besonders liebt Edgar Wehrle „La Boheme“ von Puccini. „Die Harfe sitzt direkt neben mir, und Puccini hat eine tolle Harfenstimme geschrieben, das habe ich sehr genossen. Die Harfe hat auch viele Pausen und bat mich immer, sie kurz vor ihrem Einsatz zu alarmieren. Deshalb steht in meiner Posaunenstimme oft: Harfe wecken.“

In 36 Dienstjahren kann viel passieren. „Da kriegt man viele Aufs und Abs mit und viele Chefs.“ Doch die Freude an der Arbeit hat sich Edgar Wehrle durch keine Spardiskussion nehmen lassen. Es ist ihm wichtig, die Bandbreite zu zeigen, in der ein Blechbläser stilistisch unterwegs ist. Bei den Bayreuther Festspielen wirkte er mit. Unter Karlheinz Stockhausen musizierte er bei den Donaueschinger Musiktagen, und er spielte mit Placido Domingo, „da hat das Publikum eine dreiviertel Stunde lang applaudiert“. Mit Helmut Lotti arbeitete er, „der hat eine Wahnsinns-Stimme, da saßen immer 10.000 Leute im Publikum“, und mit Paul Kuhn. Edgar Wehrle ist auf der Marschmusikplatte zu hören, die Heino vor 20 Jahren einspielte und hat 2012 beim Champions-League-Finale zwischen dem FC Bayern München und dem FC Chelsea im VIP-Zelt zum Tenorhorn gegriffen. „An mir lag es nicht, dass die Bayern verloren haben. Ich habe gut gespielt“, meint er und ergänzt: „Wir Bläser können alles machen, Bigband, Polka, Mozart, Gershwin. Als Geiger kannst Du das nicht.“

Zur Entspannung Holz machen

Über zwei Enkelchen freuen sich Edgar Wehrle und seine Frau inzwischen, die Kinder sind nach Berlin und München gezogen, „wir unternehmen Städtereisen. In München bin ich immer zum Wiesn-Auftakt und spiele im Hofbräuhaus“. Zur Entspannung macht der Soloposaunist daheim in Breckerfeld Holz, ein befreundeter Landwirt zeichnet ihm die Bäume an, die er verwenden darf. Damit wird der Schwarzwälder Grundofen geheizt. „Da habe ich Bewegung, das ist mein Hobby.“ Die große Liebe des Edgar Wehrle gehört allerdings den Egerländern. Schon als Junge träumte er davon, unter Ernst Mosch spielen zu dürfen, und dieser Traum hat sich wunderbar erfüllt.

Deshalb tritt der 63-Jährige mit der Rente auch nicht in den Ruhestand, sondern wird weiter mit den Egerländern unter Ernst Hutter auf Tournee gehen, wird als Dozent Musikvereine und Posaunenchöre unterrichten. „Ich kann immer noch mit den Jungen mithalten“, weiß er, „auch nachts an der Hotelbar.“

Tatsache ist aber, dass Edgar Wehrle sich ein Leben ohne Posaune noch nicht einmal vorstellen könnte. „Etwas Schöneres als Musik gibt es doch gar nicht.“ Und dann ergänzt er mit seinem typischen feinen Humor: „Es können ja nicht alle Pilot oder Arzt werden.“9